Der Mann mit der Trompete und dem Heroin

Im Kino: »Born To Be Blue« von Robert Budreau

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Miles Davis war ein harter Hund. Unerreichbar an der Trompete. Und ein gnadenloser Richter über Zeitgenossen. Sich als »Onkel Tom« bei den Weißen anbiedernde Schwarze wurden von seiner knallharten Verachtung ebenso getroffen wie »gehätschelte« Weiße. Für Musiker-Kollegen reservierte der afroamerikanische Jazz-Derwisch einen extra brutalen Blick. Für Chet Baker - den weißen, hübschen und talentierten Chartstürmer mit Trompete - hatte Davis Ende der 1950er Jahre folgerichtig nur Geringschätzung übrig: »Geh zurück nach Hause und lebe erst mal ein bisschen«, sagt der in seiner begründeten Gönnerhaftigkeit fast schon verhärmte Davis zu Baker (Ethan Hawk). Es ist die Bar, der Schicksalsort »Birdland« auf dem New Yorker Broadway: Hier entscheidet sich, wer (jenseits kommerziellen Erfolgs) zum Ritter des authentischen Jazz-Ordens geschlagen wird. Chet Baker fällt durch. Vorerst.

Doch er nimmt sich Davis’ Rat zu Herzen und »lebt noch ein bisschen« - aus vollen Zügen, das Heroin immer griffbereit: »Das Dope macht mich glücklich, ich bin gerne high.« An diesem Punkt Anfang der 1960er Jahre setzt der halb-fiktive Film ein: Nach seinem schnellen Aufstieg zum Posterboy des »weißen« Trompetensounds stürzt der »James Dean of Jazz« (mit unfreundlicher Unterstützung von Miles Davis) ebenso steil wieder ab. Doch ganz unten - Baker muss praktisch neu Trompete lernen - trifft er die Afroamerikanerin Jane (Carmen Ejogo). Er schöpft wieder Kraft und kreiert einige der besten Aufnahmen seiner Karriere. Robert Budreaus Film ist ein teils schmalziges, teils schmerzhaftes Biopic, das es mit den historischen Fakten nicht zu genau nimmt. Doch wie sich der ehemalige Star des West-Coast-Jazz, der gestrandete Virtuose des Cool nach einem Gefängnisaufenthalt und nachdem ihm sein Dealer die Zähne ausgeschlagen hat, wieder hoch kämpft, ist streckenweise ziemlich packend.

Es ist ein alter Mythos des Blues und ein oft wiederkehrendes Motiv in Künstlerbiografien: Chet Baker - der talentierte, aber »flache« Künstler - pilgert an die Crossroads, schließt seinen Pakt mit dem Teufel des destruktiven Rauschs und kommt gebrochen, geprügelt und ohne Zähne, aber mit Tiefe und dem authentischen Blues zurück. Und irgendwann - wiederwillig und spät - klatscht sogar die oberste Instanz: Miles Davis.

Der Film fokussiert stark auf den Drogenkonsum. Das ist nicht nur für die Biografie Bakers wichtig, sondern auch gesellschaftlich: Die abstoßende, kontraproduktive, teure und rassistische Drogenpolitik, wie wir sie heute kennen, wurde einst von skrupellosen Politikern auf dem Rücken schwarzer Jazz-Ikonen installiert. Das erste prominente Opfer war ab dem Ende der 1930er Jahre die vom ersten US-»Drogenfahnder« Harry Anslinger mutmaßlich in den Tod gehetzte und für seine üble Propaganda missbrauchte Billy Holiday - eine schändliche Episode, auf die der Film etwas unbefriedigend anspielt.

»Es war eine Ehre, für ›Bird‹ das Heroin zu besorgen«, sagt Baker im Film. Als Weißer bedeutet für ihn die Sucht zwar Unannehmlichkeiten, aber nicht jenen Verfolgungsterror, dem afroamerikanische Konsumenten bis heute ausgesetzt sind. Die Droge erweitert auch Bakers musikalischen Horizont, zumindest redet er das sich ein: »Nicht nur die Zeit dehnt sich, ich kann in jede einzelne Note hineinkriechen.« Trotzdem kämpft er lange mit Methadon gegen die Sucht an. Vergeblich: Chet Baker blieb - seinen späten, großen Erfolgen in Europa zum Trotz - bis zu seinem Tod 1988 heroinabhängig.

Ethan Hawke spielt den Part seines Lebens, auch wenn der Film dieser Leistung nicht immer gerecht wird und »Born To Be Blue« hier und da vom Fluch des konventionellen Biopics ereilt wird. Hawke teilt nicht nur das sehnige Äußere mit Baker. Er schafft es auch, die gleichzeitig verletzliche und lebensgierige Aura des Trompeters (und Sängers) aufscheinen zu lassen. Durch diese Leistung werden jedoch viele der anderen Figuren zu fleischlosen Statisten degradiert, die Romanze bleibt meist recht oberflächlich, der Rassismus wird zu sehr ausgeblendet, der Vater-Sohn-Konflikt gerät teils zur Karikatur. Es bleibt und fasziniert: der Mann mit der Trompete und dem Heroin.

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