Worum es in Raqqa geht

USA und ihre Verbündeten wollen Nordostteil Syrien abspalten

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.

Niedergang und Rückzug des so genannten Islamischen Staates (IS) in Raqqa in Syrien haben zu einem militärischen Wettlauf der internationalen Akteure im Osten des Landes geführt. Ziel ist es, das Vakuum des sich auflösenden und zurückziehenden IS zu füllen und den Osten Syriens und damit die Grenze zu Irak zu kontrollieren. Hauptaustragungsort dieses militärischen Wettlaufs sind die Provinz Raqqa, der Euphrat sowie die syrischen Städte Deir Ezzor und Al Tanf im Dreiländereck Syrien mit Irak und Jordanien.

Für die anderen, westlichen Gebiete Syriens (von Aleppo im Norden bis Deraa im Süden) haben sich Iran, Russland und die Türkei bereits mit der syrischen Regierung und einem Teil der regierungsfeindlichen Milizen bei den bisherigen Astana-Konferenzen auf einen Waffenstillstand und die Einrichtung von Deeskalationsgebieten geeinigt. Die-se sollen gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 2254 den politischen Übergang in Syrien stärken, der bei den Genfer Gesprächen verhandelt wird.

Die Astana-Gespräche sollen nach Angaben aus Moskau am 4. Juli fortgesetzt werden. Die Gespräche in Genf werden am 10. Juli wieder aufgenommen. Der US-geführte westliche Block der so genannten «Anti-IS-Koalition» hat bei dieser Entwicklung militärisch verloren. Umso hartnäckiger findet nun der Run auf den Osten Syriens statt.

Die verbliebenen militärischen Akteure sind in zwei Blöcke geteilt. Der eine Block wird von den westlichen Staaten um die USA (EU, arabische Golfstaaten, Israel, NATO) gelenkt. Der andere Block repräsentiert die «östliche/asiatische Hemisphäre» und wird von Russland und Iran angeführt.

Die beiden Groß- und Nuklearmächte USA und Russland unterstützen jeweils lokale Kämpfer. Russland steht an der Seite der syrischen Armee, die USA finanzieren und bewaffnen eine Vielzahl von Gruppen, die teilweise untereinander verfeindet sind. Sowohl Russland als auch die Koalition um die USA haben Militärausbilder in den Reihen der lokalen Kämpfer platziert. Während die Zusammenarbeit zwischen Russland und der syrischen Armee auf einem bilateralen Abkommen basiert und transparent ist, agieren US-Spezialkräfte mit Milizen anderer US-Verbündeter (Golfstaaten, Jordanien, Israel, NATO-Staaten) verdeckt in den Reihen der örtlichen «Partner», wie die US-Armeeführung die lokalen Kampfgruppen nennt.

Bei dieser neuen Ost-West-Konfrontation stehen sich zwei entgegengesetzte Vorstellungen für das zukünftige Syrien gegenüber. Der östlich-asiatische Block will Syrien als Staat erhalten, um die regionale politische Interessenkooperation zwischen Libanon (Hisbollah), Syrien, Irak, Iran, Russland und asiatischen Ländern zu stärken. Der westliche Block will Syrien aufteilen, um die Verbindung zwischen Libanon, Syrien, Irak, Iran (US-Bezeichnung: Achse des Bösen oder «Schiitischer Machtbogen») und Russland zu schwächen. Der Westen will eine Aufteilung Syriens nach dem Vorbild Deutschlands am Ende des zweiten Weltkrieges in vier Besatzungszonen. Syrien, Russland und Iran wollen das verhindern.

Eine solche Zone unter Kontrolle der USA soll die kurdische Entität Rojava werden, bestehend aus den Provinzen Raqqa und Hasakeh östlich des Euphrats, die von den US-gesponsorten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und den syrischen Kurden kontrolliert werden. Am 6. Juni erklärte das Generalkommando der SDF «den Beginn der letzten Offensive auf Raqqa». Man habe «historischen Widerstand» geleistet, sagte SDF-Sprecher Talal Silo auf einer Pressekonferenz. Die «Völker dieser Regionen (seien) von den Terroristen» befreit und ihre lebenswichtigen Ressourcen gesichert worden. Der Gefechtsplan für den «Großen Kampf» um Raqqa sei mit der internationalen Koalition diskutiert und werde umgesetzt.

Beim Sturm auf Raqqa stehen die SDF und die kurdischen Einheiten an vorderster Front. Waffen und Geld kommen von der US-Armee über den Nordirak, aus der Luft werden sie von der US-geführten internationalen Koalition unterstützt. Am Boden werden sie von Ausbildern und Beratern aus verschiedenen NATO-Staaten begleitet.

Auf dem Internet-Blog «Rakka wird lautlos abgeschlachtet» (www.raqqa-sl.com/en/ 2017/06/17/raqqa-the-so-called-war-of-liberation/) wird die «so genannte Befreiung» bitter kommentiert: «Kein Wasser, kein Strom, keine Kommunikationsverbindungen und kein sicherer Platz» sei mehr zu finden angesichts der Luftangriffe der Internationalen Koalition, heißt es am 17. Juni. «Die einzigen Medien, die sendeten, seien die von IS und SDF. Sie berichteten permanent über militärische und Gewinne. »Aber die Wahrheit ist, alle Toten sind Zivilisten.«

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