Warum die SPD wieder abgestürzt ist

Die Sozialdemokraten und Martin Schulz büßen vor allem bei Frauen, Geringverdienern und auf dem Land ein. Immerhin: Das Potenzial ist noch da.

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Warum sind die SPD und Martin Schulz in den Umfragen erst nach oben katapultiert und dann wieder in den Keller geschickt worden? Abgesehen von mehr oder weniger lustigen Metaphern, die mit Bahnverkehr zu tun haben, spielten im medialpolitischen Raum vor allem zwei Erklärungen eine Rolle: Die Sozialdemokraten hätten es sich mit rot-rot-grünen Avancen beim Wähler verscherzt und außerdem habe Spitzenkandidat Schulz zu spät konkretere Wahlforderungen formuliert. Hinzu trat das alt bekannte Geraune, die SPD dürfe nicht bloß auf soziale Gerechtigkeit setzen, müsse auch als Wirtschaftspartei reüssieren, die Mitte ansprechen und so weiter.

Nun liegen Zahlen vor, aus denen man Schlüsse ziehen könnte über den abgebrochene Höhenflug des sozialdemokratischen Phoenix - allerdings etwas andere, als man üblicherweise hört. Das Institut YouGov hat untersucht, »welche potentiellen SPD-Wähler aus dem Februar 2017 mittlerweile ihre Wahlabsicht geändert und welche Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben«. Die Analyse ist Teil eines Längsschnittpanels zur Bundestagswahl, bei der in mehreren Wellen Befragungen vorgenommen werden, so dass die Zahlen im Zeitverlauf einige Aussagen zulassen.

»Treue« und »Wechsler«

Das Ergebnis in Kürze: Die SPD und Schulz haben vor allem bei Frauen, Geringverdienern und bei Wahlberechtigten auf dem Land wieder an Zustimmung verloren. Auch bei Jüngeren verlor die SPD wieder an Boden. Hier müssten also wichtige Ursachen liegen, wenn man über den plötzlichen Abbruch des Schulz-Hypes reden möchte.

YouGov unterscheidet hier zwischen »Treuen«, also Wählern mit langfristiger Parteibindung an die SPD, die im Wesentlichen auch bei den Sozialdemokraten geblieben sind, und »Wechslern«, also Wählern mit geringer Parteibindung, deren Zustrom zur SPD den Aufstieg des Kandidaten zu Jahresbeginn antrieben - und sich dann aber wieder abwanden. Rund 75 Prozent haben sowohl in der ersten Befragung im Februar als auch in der zweiten Welle im April und Mai ihre Absicht bekundet, die SPD zu wählen – das sind die »Treuen«. Rund 24 Prozent würden dies aber nicht mehr tun - und für diese »Wechsler« gibt es Gründe.

Soziale Sicherung, Innere Sicherheit, Gesundheit

Dass die SPD praktisch ein Viertel an Zustimmung wieder verloren hat, liegt unter anderem daran, dass die Zuschreibung von Kompetenz in für die Wahlberechtigten zentralen Fragen absackte. Dies gilt vor allem für die Themen Soziale Sicherung, Innere Sicherheit und Gesundheit, wo die Sozialdemokraten bei der Frage »Welcher Partei sprechen Sie in den folgenden Bereichen jeweils die größte Lösungskompetenz zu?« um die 40 Prozent einbüßten.

Das spiegelt sich auch in den Zahlen zu den Einkommensgruppen. Während der Anteil der »Wechsler«, also derer, die im Februar noch für die SPD und inzwischen nicht mehr für die Sozialdemokraten stimmen würden, in der Einkommensgruppe 1.500 bis 3.000 Euro höher als der der »Treuen« liegt, ist bei denen, die über 3.000 Euro verdienen, das Verhältnis umgekehrt. In den Einkommensgruppen unter 1.500 Euro halten sich beide etwa die Waage. Die »Dresdner Neuesten Nachrichten«, die zuerst über die YouGov-Zahlen berichteten, formulierten es so: »Wer mehr verdient, bleibt der SPD eher treu, wer weniger verdient, wendet sich eher ab.«

Wenn die Vorfreude auf die Wahl absackt

Das Institut selbst kommt in seiner Auswertung der Daten zu dem Schluss, dass die »ursprünglich durch Martin Schulz entfachte Euphorie« von Partei und Kandidat »offensichtlich inhaltlich nicht bestätigt und aufrecht erhalten werden« konnte. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt das Institut Allensbach: Die Mehrheit der Bürger habe den Aufschwung der SPD zu Jahresbeginn vor allem mit der Erwartung erklärt, dass die SPD unter Schulz wieder verstärkt auf sozialdemokratische Themen setzen werde, lautet die in der »Frankfurter Allgemeinen« am Mittwoch veröffentlichte Einschätzung. Inzwischen sei aber auch der Überraschungseffekt durch die Kandidatur von Schulz »verflogen und hat der Überzeugung Platz gemacht, dass eine von der SPD geführte Regierung eher für Kontinuität als für eine politische Wende stünde«.

Interessant sind die Antworten auf die Frage, ob man sich auf die Bundestagswahl im Herbst freue - das sagten im Februar über 50 Prozent derer, die damals für die SPD votiert hätten, doch die Vorfreude ist in dieser Gruppe deutlich zurückgegangen: auf 38 Prozent. Auch die Erwartung, mit dem Wahlausgang zufrieden zu sein, brach bei denen ein, die sich von der SPD abwandten. Das ist politisch deshalb wichtig, weil darin auch zum Ausdruck kommt, für wie chancenreich Menschen ihr eigenes politisches Verhalten ansehen, was sie sich von der Demokratie versprechen. Die Abwendung, die »Verdrossenheit«, ist in der Vergangenheit vielfach beklagt worden.

Auch wenn man Umfragen nicht überbewerten sollte, ergibt sich doch zumindest ein Ansatzpunkt für Erklärungen des SPD-Absturzes nach dem kurzen Höhenflug, die sich nicht nur auf koalitionspolitische Erzählungen konzentrieren, von denen die Konkurrenz der Union profitiert. Schulz hat Erwartungen geweckt - und diese Erwartungen konnte die SPD nicht durch Vorschläge, durch Forderungen, durch ihre wahlpolitisches Auftreten zu einem längerfristigen Zustimmungstrend machen.

Das Potenzial – ist vielleicht noch da

Wer über eine Abkehr von der Agenda spricht, und hier geht es eher um ein gesellschaftliches Symbol als die Summe der damals beschlossenen Reformen, muss auch liefern - so denken offenbar viele. Dass die Werte der Sozialdemokraten vor allem bei Frauen, Geringverdienern und auf dem Land zurückgegangen sind, verweist - positiv gewendet - auf ein Potenzial. Auch wenn es deutlich schwieriger sein dürfte, noch einmal so ein Moment zu mobilisieren wie Anfang des Jahres.

Schulz hat versucht, die »hart arbeitenden Menschen« anzusprechen. Das ist unter anderem deshalb kritisiert worden, weil darin eine Leistungsideologie zum Ausdruck kommt, die sofort die Frage nach sich zieht, wer »nicht hart arbeitet«, wessen Schuld das ist und wer die Maßstäbe definiert. Es geht auch um Rollenerwartungen, um die Chance, eigene Lebensführungsmodelle umzusetzen.

Dass sich vor allem Frauen, Geringverdiener und Menschen auf dem Land abwenden, die es in der Regel schwerer haben, Selbstverwirklichung gegen Strukturwandel, Klassenposition und begrenzte Möglichkeiten zu behaupten, könnte zu der Schlussfolgerung verleiten, die SPD brauche eine politische Erzählung, die gerade nicht nur die Kernbeschäftigten und männlichen höheren Facharbeiter adressiert. Sondern die, die sich selbst nicht in »der Mitte« sehen, weil ihre Lebensmöglichkeiten randständig sind, mindestens aus der eigenen Perspektive.

Linkspartei und der linke SPD-Rand

Am Mittwoch machten auch neue Zahlen von Forsa die Runde, welche die YouGov-Analyse ergänzen. Die SPD sinkt bei dem Institut noch einmal ab und kommt nur noch auf 23 Prozent, die Linkspartei legt auf zehn Prozent zu. Forsa-Chef Manfred Güllner wird vom »Stern«, der zusammen mit RTL die Zahlen beauftragt hat, mit den Worten zitiert: »Offenbar kann sie nach ihrem Parteitag mit einem radikaleren Programm der sozialen Gerechtigkeit Wähler vom linken Rand der SPD für sich gewinnen.« Güllner glaubt zu wissen, dass dort unter anderem »Forderungen nach einem höheren Mindestlohn, einer Reichensteuer oder einer Deckelung der Mieten« populär sind, »bei denen die SPD nicht mithalten kann«.

Nicht mehr mithalten, könnte man sagen. Zumindest die Erwartung hat ja offenbar bestanden, dass die SPD einen Kurswechsel in diese Richtung hinlegt. Richtig bleibt freilich auch, dass die Verluste der Sozialdemokraten eben nicht vollständig oder überwiegend bei anderen Parteien des Mitte-Links-Spektrums landen. Es sieht derzeit eher nach Mehrheiten rechts der Mitte aus. Und davon haben dann auch die nichts, die sich enttäuscht wieder von Martin Schulz und der SPD abgewandt haben.

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