Bürgerrechte sind verhandelbar

FDP-Politiker kritisieren schwarz-rote Überwachungspolitik, sind aber kompromissbereit

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Christian Lindner wird in diesen Tage oft als Ein-Mann-Show der FDP beschrieben. Kürzlich hat der Bundesvorsitzende seine Partei zu einem sehr guten Ergebnis in Nordrhein-Westfalen und in die Landesregierung mit der CDU geführt. Dies will Lindner im September im Bund wiederholen. Im Team der FDP, das die Rückkehr in den Bundestag anstrebt, gibt es neben Lindner und seinem Stellvertreter Wolfgang Kubicki allerdings keine überregional bekannten Gesichter. Dies war wohl auch ein Grund dafür, dass Lindner nun zwei liberale Urgesteine, die früheren Bundesminister Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, für einen Auftritt in der Bundespressekonferenz am Montagmorgen reaktiviert hat.

Die drei FDP-Politiker rechneten mit der Überwachungspolitik der Großen Koalition ab. »Unsere Mission ist es, die Verfassung zu wahren«, sagte Lindner pathetisch. Seine Partei hält unter anderem das kürzlich beschlossene Gesetz zu Online-Durchsuchungen für verfassungswidrig und will dagegen klagen. Das Gesetz erlaubt es Behörden, nicht nur zur Terrorbekämpfung die Kommunikation über Messengerdienste zu überwachen, sondern auch bei Straftaten wie Mord, Totschlag, Steuerhinterziehung oder Geldfälschung.

Die FDP geht auch mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung vor, weil sie es für unverhältnismäßig und unzulässig hält, pauschal die Daten von allen Bundesbürgern zu erheben. »Die anlasslose Fluggastdatenspeicherung wird ebenfalls zu Korrekturen durch die Rechtsprechung führen müssen«, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger. Hauptkritikpunkt der FDP ist, dass die Methoden zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität sowie Terrorismus wenig wirksam seien und sie auf Kosten der Freiheit von Unbeteiligten gingen. Baum sieht die Bundesrepublik wegen der Politik von Union und SPD sogar auf dem Weg »in einen Überwachungsstaat«.

Lindner versprach, dass seine Partei hingegen »den privaten Raum schützen« und »die Verhältnismäßigkeit wahren« werde. Allerdings lassen die Pläne der Freien Demokraten in der Landespolitik Zweifel daran aufkommen, dass sie dieses Wahlkampfversprechen in der Regierungspolitik umsetzen werden. So soll in Nordrhein-Westfalen faktisch eine »Schleierfahndung« kommen, obwohl der Europäische Gerichtshof vor wenigen Tagen entschieden hatte, dass die Bundespolizei an den Grenzen nicht systematisch solche anlasslosen Kontrollen durchführen darf. Die Luxemburger Richter hatten erklärt, dass diese Kontrollen nur dann zulässig seien, wenn sie nicht die gleiche Wirkung hätten wie die früheren stationären Grenzkontrollen.

Auch die FDP war eine Kritikerin der »Schleierfahndung«. Nun hat sie mit der CDU des designierten NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet aber nicht viel mehr als den Namen des Instruments geändert. Die »Schleierfahndung« soll »strategische Fahndung« heißen. In der Praxis dürfte kaum ein Unterschied zwischen den beiden Methoden bestehen. Für die »strategische Fahndung« soll nämlich bereits ein vager Anlassbezug genügen. Der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Bodo Löttgen hatte kürzlich erklärt, dass im Zweifelsfall bereits »die Erfahrung des kontrollierenden Polizisten« ausreiche. Für die Fahndungen sollen die Einsatztrupps der Autobahnpolizei verdoppelt werden.

Auch die Ausweitung der Kameraüberwachung wird in Nordrhein-Westfalen nicht an der FDP scheitern. Sie soll nicht mehr nur an Kriminalitätsschwerpunkten eingesetzt werden. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag heißt es, dass »zur Bekämpfung der Straßenkriminalität die polizeiliche Videobeobachtung auch an Orten zulässig sein wird, an denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dort Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder begangen werden«. Der Zusatz, dass eine flächendeckende Überwachung nicht stattfinde, kann unterschiedlich interpretiert werden. In Schleswig-Holstein, wo die FDP künftig mit CDU und Grünen am Kabinettstisch sitzen wird, soll die Ausweitung der Videoüberwachung »geprüft« werden.

Dass das Selbstverständnis der FDP, die Partei des Rechtsstaats zu sein, angezweifelt werden kann, liegt nicht nur an den Kompromissen, welche die Freien Demokraten mit der CDU schließen. Hinzu kommt, dass die FDP die Rechte von Menschen hierzulande nur dann bedroht sieht, wenn auch ihre wohlhabende Wählerklientel von staatlichen Maßnahmen betroffen sein könnte. Dagegen hat Lindner kein Problem damit, wenn in der Flüchtlingspolitik geltendes Recht gebrochen wird. Vor wenigen Wochen wandte er sich gegen Forderungen, die Abschiebungen von Schutzsuchenden nach Afghanistan zu stoppen, obwohl die Rückführungen in das Kriegs- und Krisengebiet gegen das Völkerrecht verstoßen. Der FDP-Chef behauptete, dass ein genereller Abschiebestopp »ein Konjunkturprogramm für kriminelle Schlepper« wäre.

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