Hohes Gut
Hans-Gerd Öfinger über 60 Jahre Lohnfortzahlung bei Krankheit
Nur wenige dürften sich der Tatsache bewusst sein, dass der morgige Sonnabend ein besonderer Jahrestag ist. Doch vor genau 60 Jahren, am 1. Juli 1957, trat das »Erste Lohnfortzahlungsgesetz« in Kraft. Es brachte für Arbeiter mehr Krankengeld, für Familienangehörige Zuschüsse sowie eine Verkürzung der Karenzzeit im Krankheitsfall sowie einen Wegfall der Karenztage bei längerer Krankheit. Beschlossen hatte all das der Bundestag wenige Monate nach dem legendären Winterstreik der Metaller in Schleswig-Holstein 1956/57 für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das dürfte kein Zufall gewesen sein. Vor dem Hintergrund hoher Wachstumsraten und relativer Vollbeschäftigung war es ein Zugeständnis an die Gewerkschaftsbewegung. Wenig später gewann die CDU/CSU in der Bundestagswahl eine absolute Mehrheit. Es sollten weitere zwölf Jahre vergehen, bis der Bundestag 1969 für kranke Arbeiter eine hundertprozentige Lohnfortzahlung durch die Arbeitgeber beschloss und sie damit den Angestellten gleichstellte.
Für Generationen wurde die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vom ersten Tag an zu einer zivilisatorischen Selbstverständlichkeit. Eine abrupte Wendung kam 1996, als die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl die volle Entgeltfortzahlung einschränkte und Krankheitstage sowie Kuren auf den Urlaub anrechnen ließ. Dies löste Massenproteste aus, gipfelte in einem Marsch auf Bonn und bedeutete den Anfang vom Ende der Ära Kohl. 1998 wurde der CDU-Kanzler abgewählt. Das neue Kabinett aus SPD und Grünen setzte die Bestimmungen wieder außer Kraft.
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