Todeslager

Annotiert

  • Ernst Reuß
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Schriftsteller Mordechai Strigler, der 1998 als 80-Jähriger in New York starb, war als Junge kurz nach dem Überfall der Deutschen auf Polen in Warschau verhaftet und zur Zwangsarbeit verschleppt worden. Er durchlitt zwölf faschistische Arbeitslager. Seine Eltern und drei seiner sieben Schwestern wurden Opfer der Nazis. Kurz nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald am 11. April 1945 begann er, seine Erfahrungen literarisch zu verarbeiten. Es ist Frank Beer, der bereits andere Augenzeugenberichte aus Vernichtungslagern hierzulande herausgab, zu verdanken, dass auch Striglers erschütternde Erinnerungen an das 140 Kilometer südlich von Warschau gelegene Arbeitslager Skarzysko-Kamienna auf Deutsch erschienen sind; bereits im vergangenen Jahr ist Striglers Erfahrungsbericht aus dem Vernichtungslager Majdanek auf den deutschen Buchmarkt gelangt.

Der Holocaust-Überlebende beschreibt detailliert die grausamen Umstände, unter denen die jüdischen Gefangenen Zwangsarbeit für die Hugo und Alfred Schneider AG (HASAG) leisten mussten. Das in Leipzig ansässige metallverarbeitende Unternehmen gewann als Rüstungskonzern vor allem nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion große Bedeutung. Die Fabrik war Hauptlieferant von Munition für den Krieg im Osten.

Strigler berichtet über die Brutalität und den Sadismus der Aufseher. Wer als nicht mehr arbeitsfähig erachtet wurde, wurde kurzerhand erschossen. Über 20 000 jüdische Zwangsarbeiter kamen auf das Blutkonto der HASAG. Viele starben innerhalb von drei Monaten nach ihrer Ankunft im Zwangsarbeiterlager, da die benutzten Säuren zu schweren Vergiftungen führten und Schutzkleidung nicht zur Verfügung gestellt wurde. 1945 wurden Tausende Häftlinge aus den HASAG-Werken noch auf Todesmarsch geschickt. Drei Jahre darauf standen in der sowjetischen Besatzungszone 25 leitende Mitarbeiter des Betriebes vor Gericht. Der Chef des Werkes allerdings war bereits untergetaucht, er wurde nie gefasst.

Nach der Befreiung vom Faschismus wurden im Stammwerk Leipzig Kochtöpfe, Milchkannen, Lampen und andere Gegenstände des täglichen Bedarfs produziert, bis die Maschinen und Anlagen von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) als Reparationsleistungen beschlagnahmt und abtransportiert wurden. Der Betrieb hieß später VEB Leuchtenbau Leipzig; die Marke HASAG wurde erst 1974 gelöscht. Ernst Reuß

Mordechai Strigler: In den Fabriken des Todes. Ein früher Zeitzeugenbericht vom Arbeitslager Skarzysko-Kamienna. Aus dem Jiddischen von Sigrid Beisel. Hg. v. Frank Beer. Verlag Zu Klampen. 400 S., br., 29,80 €. Das Buch wird am 4. Juli, 19 Uhr, in der Leipziger Gedenkstätte für Zwangsarbeit auf dem Gelände des ehemaligen HASAG-Stammwerkes vorgestellt.

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