Die Ehe für alle ist überfällig - aber konservativ
Aert van Riel über die Entscheidung des Bundestags, nicht länger Politik gegen die Mehrheit zu machen
Gegen gesellschaftliche Mehrheiten lässt sich langfristig keine Politik machen. Das hat auch Angela Merkel verstanden und kürzlich eine Gewissensentscheidung zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Aussicht gestellt. Vermutlich kam die Bundestagsabstimmung etwas schneller, als die Kanzlerin eigentlich wollte. Für die Betroffenen war sie hingegen überfällig. Künftig müssen sie sich nicht mehr als Ehepaare zweiter Klasse fühlen, denen der Gesetzgeber in einem Punkt noch immer misstraute. Zur vollständigen Gleichstellung fehlte ihnen noch das Recht, gemeinsam Kinder adoptieren zu können.
Ob der langjährige Kampf gegen Diskriminierung damit erfolgreich beendet ist, wird sich noch zeigen. Denn viele Unionspolitiker lehnen die sogenannte Ehe für alle weiterhin ab und rechnen sich Chancen vor dem Bundesverfassungsgericht aus. Diese dürften gering sein. Denn die Karlsruher Richter haben zwar vor einigen Jahren die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau herausgehoben, zugleich aber auch die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren gestärkt. Das Grundgesetz wird von den Verfassungsrichtern ausgelegt. Dabei beziehen sie sich auch auf veränderte gesellschaftliche Realitäten. Und die sind alles andere als radikal. Die Öffnung der Ehe gibt lediglich mehr Menschen als bisher die Möglichkeit, sich für eine Form des Zusammenlebens zu entscheiden, die man mit guten Gründen als konservativ bezeichnen kann.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.