Die Dialektik des linken Mitregierens

Ellen Wesemüller über den Balanceakt der Berliner Linkspartei

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 2 Min.

Die LINKE kann einem schon leid tun. Da müht sie sich redlich ab, eine schier endlose Liste von Dringlichkeiten abzuarbeiten, um aus Berlin endlich wieder eine soziale Stadt zu machen - und erntet nichts als Undank seitens des großen Koalitionspartners und der außerparlamentarischen Opposition. Und das, obwohl sie wirklich viel vorangebracht hat, ganz ohne ironischen Unterton: den Freizug der Turnhallen, das Sozialticket, das Vorschaltgesetz, den höheren Mindestlohn.
Das ist das Schicksal des Regierens, könnte man einwerfen, noch zumal in einer Koalition, und man hätte recht. Vielmehr ist erstaunlich, dass es noch nicht zum Bruch mit den vielen Stadtinitiativen gekommen ist. Es gibt keine Tortenwürfe und selbst die Studenten stellen sich brav an mit ihren Transparenten, bis sie mit Reden an der Reihe sind. Das mag daran liegen, dass auch sie keine Alternative zur LINKEN haben und dass sie der Partei guten Grundes glauben, dass es ihr mindestens unangenehm ist, was am Donnerstagmorgen in Neukölln bei der Räumung eines Kiezladens passiert ist.
Gar nicht erstaunlich sind hingegen die ersten, selbstkritischen Töne seitens der Parteiführung: Ihr bleibt tatsächlich nichts anderes übrig, als die sozialen Bewegungen zu umwerben und um Zeit zu bitten, ihnen immer wieder zu versichern, dass man auf ihrer Seite stehe. Die LINKE vollzieht gerade nichts weniger als Dialektik des Regierens - nicht auf jene verzichten zu können und zu wollen, denen man den Wahlsieg zu verdanken hat, es sich aber gleichzeitig mit ihnen zu verscherzen: Denn es stimmt ja und stimmt gleichzeitig nicht, dass der Polizeieinsatz vom Donnerstag einzig die Verantwortung des Innensenators sei. Die Verantwortung trägt Rot-Rot-Grün.
Es hört sich gut an, so etwas »nicht zu dulden«, wie auf dem Parteitag geäußert wurde. Verbal auf die Kritik zu reagieren, ist jedoch das Allermindeste, um zu überleben. Das wissen die Verantwortlichen, ihre Nervosität ist nicht zu übersehen. Ab Montag muss dafür allerdings mehr als nur Worte gefunden werden.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.