Netanjahu kündigt Klagemauer-Deal auf

Ultraorthodoxe Juden, die oft Mehrheitsbeschaffer sind, bestimmen in Israel die Spielregeln

  • Oliver Eberhardt, Paphos
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Garten eines Hotels am Strand von Paphos geben sich der 24-jährige David Williams und die 22-jährige Sarah Steingold vor einem zyprischen Standesbeamten das Ja-Wort. »Wir hätten ja gerne zu Hause geheiratet,« sagt Sarah. Doch zu Hause, das ist in Israel, und David, gebürtiger US-Amerikaner, ist zum Judentum konvertiert. Und das ist nicht so leicht, wie es klingt: Denn in Israel sind für Hochzeit und Scheidung die religiösen Gruppen selbst zuständig; im Fall des Judentums haben staatlich anerkannte Rabbinate, die die Gesetze nach streng orthodoxen Regeln auslegen, die Aufgabe übernommen.

Und so erhielt David, der dem Reform-Judentum angehört, zwar die israelische Staatsbürgerschaft: »Doch heiraten darf ich nicht, weil ich nach Ansicht des Rabbinats kein Jude bin.« Hunderte Israelis jährlich heiraten deshalb in Zypern, während gleichgeschlechtliche Paare nach Dänemark ausweichen.

Doch seit einigen Jahren bröckelte die Macht der Rabbinate: Zunächst erhielten alle im Ausland vermählten Paare die vollen Rechte von Verheirateten. Vergangenes Jahr wurde dann, nach langem Streit mit den vor allem in den USA weit verbreiteten liberalen jüdischen Konfessionen, die Einrichtung eines Bereichs an der Klagemauer vereinbart, in dem Männer und Frauen gemeinsam beten, Frauen auch laut aus der Torah lesen können. Doch dann setzten die beiden ultraorthodoxen Parlamentsfraktionen, die der Regierung von Benjamin Netanjahu eine Mehrheit verschaffen, durch, dass künftig wieder nur noch nach orthodoxem Ritus Konvertierte die Staatsbürgerschaft erhalten sollen. Am Sonntag kündigte Netanjahu auch den Klagemauer-Deal auf.

»Netanjahu hat den amerikanischen Juden den Mittelfinger gezeigt«, kommentierte Jane Eisner, Chefredakteurin des »Forward«, einer jüdischen Zeitung aus New York. Michael Siegal, Verwaltungsratsvorsitzender der Jewish Agency, die die jüdische Einwanderung nach Israel fördert, erklärte, »Unterstützung für Israel bedeutet nicht zwangsläufig auch Unterstützung für die israelische Regierung«. Denn es sind vor allem liberale und konservative Juden, die im Ausland Israel unterstützen, während ultraorthodoxe Juden den Staat Israel überwiegend ablehnen; dass sich Israels Regierung auf die Seite einer Konfession stellt, hat in sozialen Netzwerken selbst bei vehementen Verfechtern Israels heftige Kritik hervorgerufen. 2016 spendeten amerikanische Juden zudem laut dem US-Finanzamt gut 1,4 Milliarden US-Dollar für Projekte in Israel.

»Die Regierung muss sicherstellen, dass Israel allen Juden eine spirituelle Heimat bietet«, sagt Siegal. Der große Einfluss von Ultraorthodoxen geht auf eine von Staatsgründer David Ben Gurion 1951 vorgestellte Doktrin zurück, der zufolge Israel nur Heimat für alle Juden sein kann, wenn sich öffentliche Einrichtungen und Familienrecht an den religiösesten Mitgliedern des Judentums ausrichten. In Ortschaften mit ultraorthodoxer Mehrheit folgt das Leben seither strengen Regeln, während anderswo auch am Samstag Restaurants und Geschäfte geöffnet haben. Die ultraorthodoxen Parteien versuchen immer wieder, ihre eigenen strengen Werte in die Lebenswelt von Säkularen und weniger streng Gläubigen zu übertragen. Möglich ist dies, weil die Ultraorthodoxen, die ungefähr acht Prozent der Bevölkerung stellen, in der zersplitterten politischen Landschaft oft Mehrheitsbeschaffer sind, wobei man sich als Interessenvertretung, nicht als Partei sieht.

Und so legten sie jetzt die nächsten Forderungen auf den Tisch: Alle Geschäfte und Restaurants außerhalb der Gebiete mit arabischer Bevölkerungsmehrheit sollten künftig am Samstag geschlossen bleiben. Und: Nur noch Ehen zwischen Mann und Frau, zwischen vom Rabbinat anerkannten Juden sollen vom Staat als Lebenspartnerschaft anerkannt werden dürfen, steuerliche Vorteile also wegfallen. David und Sarah, das Hochzeitspaar aus Zypern, beendete deshalb am Dienstag die Flitterwochen vorzeitig, um ihre Ehe eintragen zu lassen; man könne nie wissen.

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