Ein Heilmittel namens MORA C

Wie die Deutsche Bahn den Einzelwagenverkehr aus der Verlustzone führen will

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Marktanteil der Deutsche Bahn am Güterverkehr insgesamt ist nicht nur gering, er nimmt auch immer mehr ab und bringt nur Verluste. Seit 2000 versucht die Bahn, das Ergebnis zu verbessern - indem sie sich von Teilen des Güterverkehrs trennt. Sie ließ sich MORA C einfallen.
MORA C könnte der Name eines Medikamentes sein. Das ist es auch, ein radikales Mittel sogar, um sich von den 300 Millionen Mark Verlust zu heilen. Das ist der Betrag, der jährlich dem Einzelwagenverkehr zugebuttert werden muss. Wie die Deutsche Bahn dabei vorging, kritisieren Versender, Empfänger und auch andere Eisenbahnverkehrsunternehmen.
In den meisten Fällen fühlten sich die betroffenen Kunden wie Untergebene, dem der Monopolist die Bedingungen diktiert. Strikt teilte ihnen die Bahntochter DB-Cargo mit, ihr Anschluss oder ihre Ladestelle werde zum 1. Januar 2002 nicht mehr bedient, weil sich das nicht lohne. Während die Wirtschaft ein individuelles Leistungsangebot und einen Transportpartner benötigt, der auch auf schwankende Volumina eingestellt ist, möchte die Deutsche Bahn standardisierte, regelmäßige und planbare Leistungen erbringen. Am liebsten sind ihr geschlossene Züge ohne teure Rangier- und Sammelzeiten. Das Schönste sind Transitzüge von Grenzbahnhof zu Grenzbahnhof.
Stieg in den letzten Jahren die Verkehrsleistung im Bahnnetz an, dann nur durch den internationalen Verkehr. Im Binnenverkehr blieb die Deutsche Bahn der Verlierer. Geschätzt sind es die 319 Großkunden (sie machten bisher lediglich 4 Prozent der Bahnkunden aus), die fast fünf Milliarden Mark Umsatz (85 Prozent des Güterverkehrs) bringen.
Unbeliebt sind jene Kunden mit »nur« 10 000 bis 45 000 Tonnen jährlicher Beladung. Sie erhielten zum Teil widersprüchliche Botschaften, wie: »Zahlen Sie 12 500 Mark für die Anschlussweiche!« Nachdem der Betrag überwiesen war, hieß es: »Wir führen Ihnen keine Wagen mehr zu.« MORA-C-Projektleiter Klaus Kremper behauptete kürzlich in Berlin: »Viele Kunden hatten zum ersten Mal das Gefühl, dass die Bahn Ernst macht mit ihren Reformplänen.« Allerdings, denn einige vermissten, dass man mit ihnen über Alternativen sprach oder ihre Einwände akzeptierte. Eisenbahnverkehrsunternehmen, die in die Bresche springen wollten, wurden erst einmal abgewimmelt. Auf wiederholte Nachfragen erfuhren zum Beispiel die Dresdener Import Transport Logistik (ITL) und auch die Leipziger Bahnreinigungs-Gesellschaft, es käme erst zu Ausschreibungen.
Das Ergebnis dieser Ausschreibungen überraschte: Entweder bediente die Deutsche Bahn (»Die Anderen sind zu teuer!«) oder die Mitteldeutsche Eisenbahn kam zum Zuge. An ihr hält die Deutsche Bahn 80 Prozent der Anteile. Einer der Unterlegenen meinte: »Man sieht nicht durch, was bei Cargo gespielt wird. Vielleicht wollten die nur an die wettbewerbsrelevanten Informationen kommen.«
Von einer Kooperation mit den Regionalbahnen, wie sie DB-Cargo immer wieder herausstreicht, kann keine Rede sein. »Kleine Konkurrenten werden zu Sklaven der DB-Cargo gemacht«, äußerte Ludger Guttwein von der Eisenbahn-Betriebsgesellschaft Altenbeken. Mit den Wettbewerbern wurde auch nur über den so genannten Vor- und Nachlauf gesprochen; der Hauptlauf (das ist der zwischen den Rangierbahnhöfen) bleibt der Deutschen Bahn. In Verhandlungen ist er tabu. Den kleinen Bahn-Unternehmen bleibt daher nur übrig, der »Lohnkutscher« für die Deutsche Bahn zu sein. Damit finden sich diese nicht ab. Sie engagieren sich im Güterfernverkehr, fahren Stahl-, Baustoff- und Holztransporte über weite Strecken, ohne unterwegs rangieren zu müssen.
Auf verschiedenen Veranstaltungen zum Jahresende schienen sich die Manager von DB-Cargo selbst zu beruhigen, wenn sie erklärten, die erste Etappe von MORA C sei gar nicht so heftig ausgefallen. Die Bedienung der 2100 Anschlussgleise und kleinen Bahnhöfe sei auf nur 1463 reduziert worden. Es werde auf 89 Stellen weiter rangiert, die nach ursprünglicher Absicht geschlossen werden sollten. Die Niederlassungsleiter von Berlin und Sachsen zeigten sich regelrecht entzückt, dass man zwischen Senftenberg und der Ostseeküste nur 26 Prozent und in Sachsen bloß 132 von 228 Ladestellen aufgebe.
Der Deutschen Bahn bleiben im Einzelwagenverkehr noch etwa 20 Millionen Euro Umsatz. Zwischen Freiburg und Flensburg bedienen 19 Regionalbahnen 23 Gebiete und werden dafür von der Deutschen Bahn bezahlt. Zum Beispiel fährt vom 2. Januar 2002 an die Prignitzer Eisenbahn die Güterwagen von Bad Kleinen zu acht Ladestellen zwischen Schwerin und Ludwigslust. Die Mitteldeutsche Eisenbahn bringt die Wagen vom Rangierbahnhof Leipzig-Engelsdorf nach Borna, Frohburg, Geithain, Grimma und Seelingstädt bei Brandis.
Dass sich andere Bahnen nur für zehn Prozent der zur Bedienung angebotenen Ladestellen interessierten, sahen die DB-Manager als Beweis für die Richtigkeit ihrer Strategie. Wer im Auftrag der Deutschen Bahn fährt, verdient nicht viel. Kosten und Preise sind eine undurchsichtige Angelegenheit. Die stetig eingeschränkte Infrastruktur der Deutschen Bahn, wie stillgelegte Rangierbahnhöfe, geschlossene Ladestraßen, gesperrte Gleise vergrößern den Bedienungsaufwand. Klaus Kremper von DB-Cargo musste zugeben, dass wegen der nun seltener gewordenen Bedienungen auch bisher einträgliche Ladestellen unrentabel werden können.
Und so ist zu befürchten, dass auf die erste Etappe von MORA C eine zweite mit weiteren Einschnitten folgt. Kremper kündigte bis zum 15. Dezember 2002 eine so genannte Anpassungsstufe an. Er rechnet damit, dass noch einmal 200 Ladestellen entfallen. Weitere Kunden werden auf die Bahntochter Cargo zugehen müssen und Kompromisse aushandeln, wollen sie beim Bahntransport bleiben. Preiserhöhungen sind dann leicht durchzusetzen.
»Mitunter haben die Kunden auch mehr Fracht für den Einzelwagenverkehr angeboten«, freute sich Kremper. Bis 2004 will die DB-Cargo den Verkehr mit Einzelwagen aus der Verlustzone geführt haben. Der entgangene Umsatz durch die Schließungen soll durch höhere Nachfrage anderer Kunden, sprich Großversender, kompensiert werden.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.