Automobiler Rückwärtsgang

Die Förderung von E-Mobilität und die Lockerung des sogenannten Verbrenner-Aus widersprechen sich

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Problem der europäischen E-Mobilität ist nicht das Angebot, sondern die schleppende Nachfrage.
Das Problem der europäischen E-Mobilität ist nicht das Angebot, sondern die schleppende Nachfrage.

Der politische Druck war enorm: Neben der deutschen Bundesregierung drängten auch Italien, Polen und andere osteuropäische Staaten sowie Wirtschaftsverbände der Autoindustrie darauf, das Zulassungsende in der Europäischen Union für Neuwagen mit Emissionsausstoß ab 2035 zu lockern. Nun signalisiert Brüssel Entgegenkommen: Die Regelungen dürften diesen Dienstag aufgeweicht werden.

Die Befürworter*innen der Lockerung zeichnen ein düsteres Bild: Die Autoproduktion geht zurück, Gewinnmargen schrumpfen, und der Export schwächelt. Die subventionierte Konkurrenz aus China sei erdrückend. Hersteller würden zwischen Strafzahlungen für verfehlte CO2-Ziele und dem Verkauf unrentabler Elektroautos aufgerieben.

Die Forderung lautet oft: mehr Flexibilität, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die CO2-Ziele für 2035 seien ohnehin »nicht mehr realistisch«, teilte etwa der europäische Verband der Autombilindustrie ACEA mit. Statt Verboten fordert man eine Technologieoffenheit, die auch Plug-in-Hybride und Range-Extender einschließt. Range-Extender sind Motoren mit Generator, die den Akku von Elektroautos aufladen, wenn deren Batterie leer ist.

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Zuletzt schloss sich auch Deutschlands größte Gewerkschaft, die IG Metall, dieser Forderung an. Sie verknüpft ihren Standpunkt allerdings mit sozialen Bedingungen: Hersteller müssten Standortzusagen machen, und »Local-Content«-Regelungen eingeführt werden. Diese schreiben vor, dass ein bestimmter Produktionsanteil aus Europa stammen muss.

Laut Ben McWilliams, Energieökonom beim Brüsseler Thinktank Bruegel, fehlt der Forderung nach einer Lockerung jegliche Grundlage. Er hält die Hoffnung auf klimafreundliche synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) wegen der zu erwartenden Kosten für unrealistisch. »Alle Beweise, die wir haben, deuten darauf hin, dass dies unerschwinglich teuer sein wird«, urteilt McWilliams.

Selbst optimistische Annahmen zeigen, dass 2035 kaum genug E-Fuel zur Verfügung stünde, um auch nur 14 Prozent des heutigen deutschen Pkw-Bedarfs zu decken – zu Preisen, die niemand bezahlen würde.

Auch Expert*innen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung haben berechnet: Selbst optimistische Annahmen zeigen, dass 2035 kaum genug E-Fuel zur Verfügung stünde, um auch nur 14 Prozent des heutigen deutschen Pkw-Bedarfs zu decken – zu Preisen, die niemand bezahlen würde.

McWilliams identifiziert darüber hinaus drei Kernprobleme der europäischen Autoindustrie, die sich durch gelockerte Klimaziele nicht lösen lassen. Erstens ist der Markt geschrumpft. »Die Europäer kaufen etwa 20 Prozent weniger Autos als vor der Corona-Pandemie«, analysiert er. Zweitens schotten sich die USA zunehmend durch Zölle ab. Drittens übernehmen chinesische Unternehmen Marktanteile – in der Volksrepublik wie in Europa. Der Ruf nach dem Verbrennungsmotor ignoriert laut McWilliams diese strukturelle Veränderung.

Paradoxerweise sind die Konzerne bei der E-Mobilität längst weiter, als ihre alarmistischen Forderungen vermuten lassen. Europäische Automarken haben massiv in die E-Mobilität investiert. Laut McWilliams besitzen sie die Kapazität, »jährlich etwa doppelt so viele E-Fahrzeuge zu produzieren, wie in Europa nachgefragt werden«. Das Problem ist also nicht das Angebot, sondern die schleppende Nachfrage und die Konkurrenz.

Die Politik müsse die Rationalisierung »auf kluge Weise fördern«, unterstreicht der Ökonom. Der richtige Ansatz sei, sich »voll auf den EV-Übergang zu konzentrieren«. Das bedeutet: mehr Geld für den Ausbau der Ladeinfrastruktur, zusätzliche Unterstützung für den Wandel zum Elektroantrieb und fiskalische Anreize zur Steigerung der Nachfrage nach E-Mobilität.

Immerhin in dem Punkt herrscht Einigkeit: Die Bundesregierung plant für das kommende Jahr ein umfassendes Programm zur Förderung der E-Mobilität. Neben steuerlichen Erleichterungen für elektrische Dienstwagen soll eine sozial gestaffelte Kaufprämie für Elektroautos und Plug-in-Hybride gezielt kleine und mittlere Einkommen unterstützen. Entsprechend dem Wunsch der IG Metall sollen die Gelder an eine europäische »Local-Content«-Klausel geknüpft werden.

Doch McWilliams warnt: Eine Lockerung des sogenannten Verbrenner-Aus stellt diese Maßnahmen in Frage. Kurzfristig mag sie Profite einzelner Unternehmen sichern. Langfristig bindet das Festhalten an Hybrid- und Verbrennermotoren Kapital, das für den Wettbewerb um Software und Batterien dann fehlt, warnt der Ökonom.

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