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Gesittete Verhältnisse

Der Bundesrat beschließt Regeln für die Fleischindustrie, die Ausbeutung der Werktätigen verhindern sollen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Von der letzten Sitzung des Bundesrats an diesem Freitag erhoffen sich viele Gewerkschafter ein Signal für kleine, aber wichtige Verbesserungen in der Arbeitswelt. Auf der Tagesordnung und unscheinbar in den dicken Beschlussvorlagen befindet sich das bereits vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft. Dieses Gesetz soll vor allem die Ansprüche von oftmals osteuropäischen Beschäftigten in deutschen Schlachtfabriken sichern, die Sozialkassen stärken und dem massenhaften Missbrauch von Werkverträgen entgegen wirken. Es soll verhindern, dass die Betriebe ihre Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen umgehen und die Fleischindustriellen zwingen, Arbeitsmittel, Werkzeuge und Schutzkleidung kostenlos zur Verfügung stellen. Ausbeuterische Verhältnisse in der Fleischindustrie, die für Schlagzeilen gesorgt hatten, sollen so beendet werden.

All dies lässt erahnen, wie stark der Handlungsdruck inzwischen geworden ist. In ländlichen Regionen von Niedersachsen, Westfalen, Bayern oder Sachsen-Anhalt sind in den letzten Jahrzehnten riesige Schlachtfabriken entstanden. Konzerne wie Tönnies, Vion. Westfleisch, Wiesenhof, Danish Crown oder Heidemark mit ihren industriellen Schlachtanlagen haben kommunale Schlachthöfe und kleine Fleischereien verdrängt. Ein Großteil der 60 Millionen Schweine, 3,6 Millionen Rinder, eine Million Schafe und neun Millionen Geflügeltiere, die allein 2016 in Deutschland geschlachtet und zerlegt wurden, kamen in diesen Anlagen unters Messer.

Deutschland ist nicht nur Exporteur von Autos, Waffen und Werkzeugmaschinen, sondern auch von Fleisch und Wurstwaren. »Früher hatten wir einen Selbstversorgungsgrad von 80 Prozent beim Schlachten von Schweinen. Heute liegt er bei 120 Prozent«, berichtet Claus-Harald Güster vom Vorstand der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Die Exportoffensive sei vor allem eine Folge schlechter Arbeitsbedingungen und erfolge damit auf dem Rücken der Beschäftigten, so der Gewerkschafter. »Früher hatten wir hier durchgängig Tarifstrukturen und teilweise sehr gut bezahlte Jobs für einheimische Facharbeiter. Doch schon vor über zwei Jahrzehnten wurde umgesteuert. Die Löhne sind in den Keller gerutscht.«

Die deutsche Fleischindustrie gehörte zu den ersten Branchen, die schon lange vor der Agenda 2010 eine massenhafte Prekarisierung der Arbeit umsetzte. Die Fleischbarone entdeckten in den 90er Jahren den für sie gewinnbringenden Segen einer Auslagerung zentraler Arbeitsvorgänge an Werkvertragspartner. Diese übernehmen Großaufträge für das Töten und Zerlegen von Schlachtvieh. Die Knochenarbeit wurde früher von den Stammbelegschaften erledigt. An ihre Stelle traten zunehmend weitgehend rechtlose Wanderarbeiter aus osteuropäischen EU-Beitrittsländern wie Polen, Bulgarien und Rumänien. Sie werden oftmals über ein Geflecht von Sub- und Subsubunternehmen rekrutiert und hausen unter menschenunwürdigen Bedingungen zu Wuchermieten. Als Vater des »Geschäftsmodells« Werkverträge gilt der Münchner Arbeitsrechtler und Juraprofessor Bernd Rieble. Er ist als Chef des durch eine Stiftung verschiedener Arbeitgeberverbände finanzierten Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität bestens mit Unternehmerverbänden vernetzt. Künftig sollen nun die Einsatzbetriebe der Branche und nicht die mit den Arbeiten beauftragten Subunternehmen bei Regelverstößen haften.

Für Claus-Harald Güster ist das neue Gesetz ein »großer Schritt in die richtige Richtung, um in der Branche zu gesitteten Verhältnissen zurückzukehren«. Es könne »vielen schwarzen Schafen« entgegenwirken, die es »mit großer Fantasie« verstehen, den seit Juli 2014 geltenden Branchenmindestlohn, Arbeitnehmerschutzrechte und sozialrechtliche Abgabepflichten zu unterlaufen. Allerdings müssten die für die Kontrollen zuständigen Behörden dringend besser ausgestattet und personell aufgestockt werden, mahnt der Gewerkschafter.

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