Mit Motorsäge und Vorschlaghammer

Das Zentrum für Kunst und öffentlichen Raum (ZKR) zeigt im Schloss Biesdorf Werke gegen Privatisierung und Kommerzialisierung

  • Manuela Lintl
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit dem frisch restaurierten Schloss Biesdorf verfügt Marzahn-Hellersdorf seit September 2016 über eine interessante neue Ausstellungsstätte speziell für zeitgenössische Kunst mit Bezügen zu Architektur, Landschaft und öffentlichem Raum. Kooperationspartner des neuen »Zentrums für Kunst und öffentlichen Raum« (ZKR) ist das Staatliche Kunstarchiv Beeskow mit seinem Bestand an rund 23 000 Gemälden, Druckgrafiken, Zeichnungen und Aquarellen der DDR. Der weit größte Teil gehörte vor 1989 den Parteien, Organisationen und Staatsorganen der DDR und war in öffentlichen Erholungsheimen, Geschäftsstellen und Gästehäusern zu finden.

Da der Name Schloss mehr verspricht, als die Villa zu halten vermag, ist die Nutzung für thematische Kunstausstellungen ein sinnvoller Ansatz. Die aktuelle, zweite Ausstellung zum Thema »Zwischen Räumen« wurde von einem fünfköpfigen Kuratorenteam erarbeitet und präsentiert Positionen von 15 Künstlerinnen und Künstlern. Die Lücke im Titel setzt nicht nur optisch die Wortbedeutung um, sondern steht auch für den diffusen, nicht leicht greifbaren Charakter öffentlicher Räume. Aktuell sind diese frei zugänglichen und frei nutzbaren sozialen Räume weltweit, nicht nur in großen Städten, von Privatisierung und Kommerzialisierung bedroht und daher umkämpfter als jemals zuvor. Die Ausstellung fragt danach, inwieweit politische und wirtschaftliche Interessen den urbanen Raum formen, welche Grenzen und Machtgefüge ihm eingeschrieben sind und ob dies mit künstlerischen Mitteln sichtbar gemacht oder überwunden werden kann.

Als wegweisender Ausgangs- und Bezugspunkt dienen die experimentellen Werke des amerikanischen Künstlers Gordon Matta-Clark (1943 bis 1978), der bereits in den 1970er Jahren in New York mit dekonstruktivistischen Kunstaktionen brachial in den öffentlichen Raum intervenierte. Der jung verstorbene Künstlerrebell stammte aus einem etablierten künstlerischen Umfeld und studierte zunächst Architektur. Während der Mai-Unruhen 1968 lernte Matta-Clark in Paris die utopistischen und radikal architekturkritischen »Situationisten« um Guy Debord kennen. Die Ausstellung zeigt Fotografien, Collagen und vor allem Filme, in denen Matta-Clark seine aufsehenerregenden Aktionen dokumentiert oder interpretiert hat. Etwa die berühmten »Cuttings« und »Splittings« im Rahmen des Projekts »Anarchitecture«, bei denen meist ohne vorherige Genehmigung mit Motorsägen und Vorschlaghämmern Decken und Böden von Ruinen oder intakten Gebäuden malträtiert wurden. Das Ganze war eine radikal formulierte Kritik an der Rolle der Architektur in der kapitalistischen Gesellschaft.

In die Abfolge der historischen Werke von Matta-Clark sind ausgewählte zeitgenössische Positionen zum Thema Entgrenzung und Vermessung des Raumes punktuell und dialogisch integriert. Etwa Andrea Pichls Fotoserie »Bau auf, bau auf« (2010 bis 2017), die fast malerisch wirkende Detailaufnahmen serieller Plattenbauarchitekturen der DDR zeigt. Mit archäologischem Gespür lichtet die Künstlerin Details ab, die sich der architektonisch angestrebten Gleichförmigkeit widersetzen. Marjetica Potrč aus Slowenien befasst sich als Künstlerin und Architektin mit den Unterkünften der Ärmsten: selbst gebauten Baracken und Hütten. Potrč hat eine Wellblechhütte, wie sie in Amman zu finden ist, im Ausstellungsraum originalgetreu nachgebaut. Das Besondere an »East Wahdat: Upgrading Programm« (1999 bis 2017) ist, dass der jordanische Staat den Bewohnern ermöglicht, ihre provisorischen Hütten an die Strom- und Wasserversorgung anzuschließen und mit Satellitenschüsseln auszustatten. Da in Jordanien fast ein Viertel der Bevölkerung in Baracken lebt, trägt das Modell zur Lösung eines Problems bei, das mit Zerstörung der illegalen Wohnbauten nicht gelöst werden kann.

Im Untergeschoss versammeln sich abschließend ausgewählte Werke von Künstlerinnen aus dem Kunstarchiv Beeskow, darunter fotografische Sichten auf den Stadtraum Ost-Berlins der 1980er von Sibylle Bergemann und Antje Fretwurst-Colberg. Die Präsentation wirkt hier leider improvisierter und unruhiger, was nicht nur an den weitgehend durchfensterten Räumen liegt. Die Absicht, die Bestände des Beeskower Kunstarchivs einzubeziehen und historische Kunst der DDR mit zeitgenössischen Positionen zum Thema Zwischenräume kommunizieren zu lassen, kommt ein wenig einer Zwangsehe gleich. Ob das Konzept auch für zukünftige Ausstellungen beibehalten werden sollte, ist daher fragwürdig.

Schloss Biesdorf, Alt-Biesdorf 55. Bis 8. Oktober, Mo., Mi., Fr. - So., 10 - 18 Uhr, Do 12-21 Uhr; www.zkr-berlin.de

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