»Die Digitalisierung fliegt schon«

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) über eine Metropole im Wandel

  • Ellen Wesemüller und Martin Kröger
  • Lesedauer: 7 Min.

Das Thema Digitalisierung ist so umfangreich wie der BER, sagen manche. Fangen wir mal ganz persönlich an: Was hat sich bei Ihnen zuletzt digitalisiert?
Das Smartphone ist aus meinem Arbeitsleben und privaten Alltag natürlich nicht mehr wegzudenken. Auch beim Auftritt der Parteien in Wahlkampfzeiten arbeiten wir mit digitalen Angeboten. In der Senatskanzlei ist es ein ständiges Thema, wie wir Digitalisierung nutzen können, um unsere politischen Projekte schneller voranzutreiben. Insofern hinkt der Vergleich mit dem BER, weil die Digitalisierung schon lange »fliegt«.

Sie selbst haben keinen Twitter-Account. Mögen Sie das nicht, oder lassen Sie das lieber die jüngere Generation übernehmen?
Erst mal: keine Altersdiskriminierung (lacht). Ich werde von Tag zu Tag sensibler an der Stelle! Nein, es ist eine ganz bewusste Entscheidung gegen ein eigenes Twittern, weil ich mir auch in einem schnelllebigen politischen Alltag die Freiheit nehmen möchte, erst mal über Dinge nachzudenken, Rücksprache zu halten, etwas zu lesen, bevor ich reagiere. Wenn man Twittern ernst nimmt, muss man dranbleiben, immer einen flotten Spruch haben. Ich finde, das ist mitunter in der politischen Auseinandersetzung nicht sachgerecht.

Michael Müller

Michael Müller ist Regierender Bürgermeister von Berlin. Der SPD-Senatschef regierte ab 2014 zunächst mit einer Großen Koalition, seit Herbst 2016 steht Müller an der Spitze eines rot-rot-grünen Regierungsbündnisses. Zuständig ist er auch für die Wissenschaft. Über die digitale Zukunft Berlins sprachen mit Müller für »neues deutschland« Ellen Wesemüller und Martin Kröger.

Aber bei Facebook haben Sie ein Profil?
Da ist man freier, man kann Sachverhalte breiter darstellen und sich auch etwas Zeit nehmen für Fotos oder ein kleines Video.

Dabei werden Sie unterstützt?
Auch, natürlich.

Als Wissenschaftssenator kommen Sie viel in der Forschungslandschaft herum. Gibt es ein digitales Forschungsprojekt, das Sie in letzter Zeit stark beeindruckt hat?
Für mich war sehr beeindruckend, dass es uns innerhalb eines Dreivierteljahres gelungen ist, 50 Digitalprofessuren für das Einstein-Zentrum zusammenzubekommen. Das sagt etwas darüber aus, wie groß die Bereitschaft ist, diese Riesenbewegung der Digitalisierung zu unterstützen. Und darüber, wie viel Hoffnung da seitens Wissenschaft und Wirtschaft drin steckt. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass das Spektrum so breit ist - von Mobilität über Gesundheit bis hin zum Datenschutz.

Aber es gibt kein einzelnes Projekt, das Sie hervorheben können oder wollen?
Es gibt so viele - vielleicht nur ein Beispiel von letzter Woche, als ich an der Beuth-Hochschule ein Projekt selbst austesten durfte: Dort werden virtuelle Realität und Simulationstechnologie für die Optimierung von Prozessen eingesetzt, etwa bei Pumpwerken und Abwassersystemen.

Das Einstein-Zentrum wird in Public-private-Partnership finanziert: Neben den Universitäten sind auch 20 Unternehmen beteiligt, die zwölf Millionen Euro beisteuern. Wie sorgen Sie dafür, dass diese Unternehmen nicht zu viel Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung nehmen?
Das ist eine Grundvoraussetzung, dass die Freiheit von Wissenschaft und Forschung gewährleistet ist. Ein Unternehmen kann gerne einen Anspruch formulieren, aber es darf nicht eingreifen in die wissenschaftliche Arbeit - die darf nicht ausschließlich Vermarktungs- und Gewinninteressen unterliegen. Die Unternehmen und privaten Spender, die ich kenne, legen selbst Wert darauf, weil sie wissen, dass sie sonst ihr eigenes Engagement diffamieren.

Sie vertrauen der Selbstregulierung der Unternehmen?
Und der Einstein-Stiftung, die das für uns organisiert, sowie den Universitäten, die hierzu ebenfalls interne Regeln haben.

Das Land Berlin möchte einen Teil der Professuren nach sechs Jahren verstetigen. Was heißt das konkret?
Das muss erst evaluiert werden. Unser Ziel ist natürlich, diese Professuren mindestens zu verstetigen, wenn nicht sogar weiter auszubauen.

Alle Professuren?
Das ist unser Ziel. Wir müssen schauen, wie wir das finanzieren können. Das könnte weiterhin in einer Kooperation möglich sein. Wir müssen aber auch selbstkritisch sehen, was dabei herauskommt. Wir haben ja auch einen Anspruch. Im Bereich »Smart City« wollen wir Lösungsansätze für die sich verändernde Stadt. Zwei Beispiele: Wir brauchen neue Mobilitätskonzepte für immer mehr Menschen, die ein vernetztes Verkehrsangebot in Anspruch nehmen wollen und müssen. Wir brauchen neue Gesundheitskonzepte für eine älter werdende Gesellschaft, die zugleich zu Hause wohnt und mobil ist. Wenn wir über solche Professuren Lösungen bekommen, haben wir ein riesiges Eigeninteresse, daraus mehr zu machen.

Sie haben das Deutsche Internet-Institut nach Berlin geholt. Der Bund fördert es in den nächsten fünf Jahren mit 50 Millionen Euro. Im Vordergrund steht der Gemeinnutz - und die Frage, wie demokratische Institutionen auf Digitalisierung reagieren müssen. Wie müssen sie reagieren?
Mit größtmöglicher Offenheit und Transparenz. Das spielt auch eine Rolle in unserer Open-Access-Strategie: Wir wollen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse für jeden zugänglich sind. Das ist die Riesenchance der Digitalisierung: dass möglichst viele möglichst barrierefrei von Wissen profitieren, daran teilhaben und daraus etwas machen können. Damit einher gehen andere Fragen: Wie verändert sich die Arbeitswelt? Wie müssen Weiterbildungsangebote sein? Wie halten wir es mit dem Datenschutz? Da kann das Deutsche Internet-Institut hoffentlich Antworten geben.

Apropos Transparenz - im Koalitionsvertrag ist ein Transparenzgesetz vereinbart worden. Aktivisten und Ihre Koalitionspartner bemängeln nun, dass das nicht ganz oben auf der Agenda steht. Die SPD scheint auf die Bremse zu treten. Können Sie es sich leisten, das auf die lange Bank zu schieben?
Das muss vorangetrieben werden. Eine Koalition tut sich nichts Gutes, wenn sie nicht versucht, Transparenz in allen Verwaltungs-, Regierungs- und Lebensbereichen zu schaffen. Es gibt aber Grenzen: Auch für Politiker und Verwaltung muss es die Chance geben, etwas zu beraten, bevor man an die Öffentlichkeit geht. Außerdem gibt es sensible Daten Dritter.

In Ihre Senatskanzlei fällt die Verantwortung für den WLAN-Ausbau. Die FDP hat Sie jüngst aufgefordert, Angebote der Mobilfunkanbieter nicht auszuschlagen, um in der BVG freies WLAN anzubieten.
Warum sollte ich das verhindern? Zugegeben: Es war eine schwierige Geburt, zu unseren 650 Hotspots zu kommen. Es gab Abstimmungsprobleme zwischen Landes- und Bezirksebene. Denkmalschutz- und Ausschreibungsfragen haben eine Rolle gespielt. In Zukunft werden wir aber das Angebot weiter ausbauen. Es wird auch Angebote der BVG geben, zum Beispiel werden auf den Wartehäuschen Antennen für WLAN-Zugänge von privaten Anbietern installiert. Zudem wollen wir den Ausbau des WLAN über unsere landeseigenen Unternehmen voranbringen, aktuell investieren wir etwa in WLAN in städtischen Krankenhäusern.

Die FDP fordert bis Ende 2018 Mobilfunkverbindungen in LTE-Qualität. Bis 2020 soll es in allen Verkehrsmitteln der BVG freies WLAN geben. Bis wann schaffen Sie was?
Lernend aus den zurückliegenden zwei Jahren würde ich sagen, es geht nicht von heute auf morgen. Aber nachdem die ersten Widerstände überwunden sind, hoffe ich, dass die nächsten Schritte schneller gehen.

Die Haushaltsverhandlungen laufen. Was ist Ihnen dabei beim Thema Digitalisierung wichtig?
Da sind erstens die Hochschulverträge, wo wir den Universitäten 28 Millionen Euro für die Digitalisierung zur Verfügung stellen. Das zweite ist, dass wir die Gründerzentren für die Start-ups stärken wollen, damit von hier aus weitere Impulse für Berlin gesetzt werden können. Es gibt zudem Modellprojekte wie das autonome Fahren. Und das Robert-Koch-Forum soll zu einem Haus der Wissenschaft ausgebaut werden.

Im Koalitionsvertrag wird eine Digitalisierung der Verwaltung in Aussicht gestellt…
Bisher war es ein so nettes Gespräch. (lacht)

... Was sind hier die Fortschritte?
Es geht darum, dass wir die Verwaltung auf einen einheitlichen Standard bringen, damit wir berlinweit ein Serviceangebot machen können, mit dem die Berlinerinnen und Berliner wirklich rechnen können. Deswegen wurde speziell eine IT-Staatssekretärin berufen, die genau das erreichen soll: Erstens Vereinheitlichung der Systeme auf Bezirks- und Landesebene, zweitens Transparenz, drittens Weiterbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter und viertens natürlich sehen, wie man möglichst viele verwaltungsinterne Verfahren auf digitale Prozesse umstellen kann. Eine große Aufgabe also, die auch viele Investitionsmittel erfordert.

Im Koalitionsvertrag steht auch, einen Koordinator »Digitales Berlin« zu ernennen. Kommt da noch jemand?
Wir haben ja eine Staatssekretärin, die koordiniert. Mehr Leute, die koordinieren und leiten, müssen es nicht immer besser machen.

Im dritten Teil der Sommerserie geht es nächsten Montag um digitalen Verkehr

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