Das Feld von hinten aufgerollt

Israels ehemaliger Ministerpräsident Barak: Gabbay ist unser Jeremy Corbyn

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine »Revolution« erlebe man gerade, schrieb der ehemalige Ministerpräsident Ehud Barak auf Facebook, »eine schöne Revolte« sei es, sagte er dann kurz darauf dem israelischen Armeerundfunk: »Die Mitglieder der Arbeitspartei haben deutlich gesagt, dass es so nicht weiter gehen kann.«

In einer Urwahl wählten die Parteimitglieder am Montag den 50-jährigen Avi Gabbay zum Vorsitzenden - und damit nicht nur einen weitgehenden Politikneuling, sondern auch jemanden, der bis Dezember nicht einmal Parteimitglied war. Es ist das erste Mal überhaupt in der Geschichte der Partei: Seit sich 1968 drei linke Parteien zur Arbeitspartei zusammenschlossen, hatte die Partei nie jemanden zum Vorsitzenden gewählt, der nicht der sozialdemokratischen Spitze des Landes angehörte. Gabbay hat dies nun geändert.

Seit seinem Parteieintritt erarbeitete er sich die Unterstützung von Gewerkschaftern und Vertretern jener Gruppen, die 2011 die Proteste für soziale Gerechtigkeit maßgeblich mitgetragen hatten, dann in die Arbeitspartei eintraten und dort dann vor der »Parteiaristokratie« (die Abgeordnete Stav Schaffir) auf hintere Listenplätze zurückweichen mussten.

Schon vor der Wahl machten viele Parteimitglieder ihre Erwartung deutlich, dass sich das ändert. Frauen und Angehörige von Minderheiten sollten nicht nur auf der Liste landen, weil dort ein Platz für eine Frau oder einen Sepharden - Juden nichteuropäischer Herkunft - reserviert sei, während die vorderen Plätze, was bei den Sozialdemokraten bislang üblich war, für etablierte, meist männliche Parteimitglieder europäischer Herkunft reserviert waren.

Dass Gabbay, der bis Mai 2016 noch Umweltminister für die konservative Partei Kulanu war, in den vergangenen Wochen stramm links argumentierte - für einen massiven Ausbau des Sozialstaates, gar für eine Verstaatlichung wichtiger Infrastruktur, für eine Bürgerversicherung und eine erhebliche Anhebung des Mindestlohns. »Sozialstaat ist kein Schimpfwort«, so Gabbays Slogan, und die Kritik, das könne man sich doch nicht leisten, konterte er mit dem Verweis auf seine jahrelange Erfahrung im Finanzministerium, als Manager eines Telekommunikationskonzerns: Er kenne den Staatshaushalt wie seine Westentasche, wisse, was gehe.

Außerdem könne man bei den Siedlungen massiv sparen. Der Siedlungsbau müsse eingestellt, isolierte Siedlungen außerhalb der Siedlungsblöcke müssten aufgegeben, die arabischen Stadtteile, die nach Jerusalem eingemeindet wurden, an die palästinensische Regierung übergeben werden.

Und so sieht beispielsweise Barak, 1999/2000 der bislang letzte sozialdemokratische Regierungschef, in Gabbay schon den »israelischen Jeremy Corbyn«: Er sei jemand, der »Menschen zusammenbringen kann«, der »Hoffnung verbreitet«. Aber vor allem sei er jemand, der eine klare Position einnimmt. »Daran hat es in der Vergangenheit gemangelt«, sagt Schaffir, die einst zu den Anführerinnen der Sozialproteste gehörte: »Die Partei hat viel zu lange versucht, für die Mittelschicht da zu sein, im Zentrum zu stehen.« Auch bei Israels Sozialdemokraten ist Corbyn derzeit sehr angesehen; die Kritik er sei »antisemitisch«, »antiisraelisch« wies auch Gabbay am Montag zurück: »Auch ich bin bereit, mit jedem zu reden, der gesprächsbereit ist.«

Derzeit dümpelt die Partei in den Umfragen bei acht von 120 Parlamentssitzen; dabei hatte man bei der Wahl 2015 noch 19 Sitze errungen. Da man allerdings derzeit mit der Partei HaTnuah unter dem Namen Zionistische Union ein Wahlbündnis bildet, hat die Fraktion insgesamt 24 Sitze - was gereicht hätte, um eine Regierung zu bilden, wenn der nun abgewählte Vorsitzende Jitzhak Herzog dazu bereit gewesen wäre, eine links-zentristische Regierung mit Duldung der arabischen und religiösen Parteien zu bilden. Doch Herzog weigerte sich, wollte »Politik aus der Opposition heraus machen«.

Der abgewählte Vorsitzende wird übrigens weiterhin Oppositionsführer bleiben: Gabbay, der selbst kein Abgeordneter ist, erklärte, die 24 Parlamentssitze habe Herzog errungen, und damit auch den Führungsanspruch.

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