NRW: Wohnen gleich am Förderturm

Weshalb alte Zechen für Bauherren interessant sind

  • Rolf Schraa, Essen
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf meterdicken Betonfundamenten ruhen am Bergwerk West in Kamp-Lintfort am Niederrhein die riesigen Elektromotoren für den Transport des Förderkorbs. Das Ensemble im Maschinenhaus der 2012 geschlossenen Zeche sorgt regelmäßig für Verzückung bei Architekten und Häuslebauern. »Hier kommen Loft-Wohnungen rein. Die Interessenten rennen uns die Bude ein«, sagt Ex-Bergmann Peter Wylenzek, der heute für die Stadt Kamp-Lintfort Besucher durch die Anlage führt.

Der bundesweite Immobilienboom hilft dem Steinkohlekonzern RAG, seine gewaltigen Flächenbestände aus Altzechen auf den Markt zu bringen. Bis zu 315 Euro pro Quadratmeter plus Nebenkosten verlangt die Konzerntochter RAG Montan Immobilien inzwischen etwa für erschlossenen Grund am einstigen Zechengelände Niederberg in Neukirchen-Vluyn - nicht gerade wenig für früheres Industriegelände in einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets auf der grünen Wiese.

Aber die Kosten sind mit Ballungsraumpreisen von teils deutlich über 1000 Euro pro Quadratmeter Grund in Köln oder Düsseldorf natürlich nicht zu vergleichen. Und die oft denkmalgeschützten Zechen-Gebäude und Fördertürme, die auf Dauer stehen bleiben, geben den Neubausiedlungen besonderes Flair. 78 Grundstücke wurden 2014/15 in Neukirchen-Vluyn in kurzer Zeit verkauft, inzwischen stehen dort längst die Häuser, ein Kindergarten wurde gebaut und aktuell vermarktet die Konzerntochter das letzte Baufeld an Interessenten.

Immobilienfachleute wie Oliver Arentz vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln warnen zwar, dass der Bauboom sich abschwächen dürfte, sobald die Zinsen wieder steigen, und Anschlussfinanzierungen teurer werden. »Dann könnte mancher, der Immobilien in nicht erstklassiger Lage später verkaufen will, eine Überraschung erleben.«

Doch noch scheint der Hype unaufhaltsam. Für die letzten 64 Hausgrundstücke in Neukirchen-Vluyn hätten sich 150 Interessenten beworben, sagt RAG Montan-Chef Hans-Peter Noll. »Das Hausgrundstücksgeschäft läuft und läuft - es gibt einfach noch großen Mangel an solchen Flächen.«

Für das Immobilienunternehmen der RAG, die bundesweit nur noch zwei Steinkohlezechen betreibt, ist das Geschäft mit Häuslebauern zentral: Dort werden beim Verkauf von Zechengrund die Gewinne erwirtschaftet, die beim Verkauf an Gewerbekunden häufig fehlen. So bringen Gewerbegrundstücke etwa für Logistikunternehmen oft nur zwischen 50 bis 80 Euro pro Quadratmeter - »weniger als ein Quadratmeter guter Teppichboden«, klagt Noll. »Da wird die Luft für eine solide Entwicklung der Fläche sehr dünn.«

Über 100 stillgelegte Zechen mit mehr als 9000 Hektar Gelände hat die Immobiliengesellschaft seit den späten 1970er Jahren saniert und entwickelt - so viel Fläche wie 13 000 Fußballfelder. Vor allem die Bodensanierung an ehemaligen Kokereien auf den Zechen erfordere dabei vielfach einen zweistelligen Millionenaufwand, sagt Noll. Das Management bleibe eine Riesenaufgabe über Jahrzehnte, auch wenn die aktive Steinkohle-Förderung Ende 2018 in Deutschland endet. Rund 1300 Gebäude und Anlagen verwaltet die Gesellschaft aktuell.

15 oder sogar 20 Jahre kann es dauern, bis aus einer verlassenen Zeche ein Wohn- und Gewerbegebiet geworden ist. Über solch lange Zeiträume trotz wechselnder politischer Mehrheiten die Anliegerkommunen bei der Stange zu halten, sei das Schwierigste, sagt Noll. dpa/nd

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