Rollback in Nordrhein-Westfalen

Schwarz-Gelb räumt soziale Errungenschaften der Vorgängerregierung rigoros ab

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Zwei Monate ist es her, dass in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde, jetzt beginnen Landtag und Kabinett mit der parlamentarischen Arbeit. Die beiden Sitzungen des Landtages in dieser Woche verdeutlichen: Ziel von Christdemokraten und Liberalen ist es, zahlreiche Reformprojekte der Vorgängerregierung rückgängig zu machen. Schon in den ersten Arbeitssitzungen des Landtages zeigten die neuen Regierungsparteien auf, wohin die Reise gehen soll. Besonders eindrücklich ist in diesem Zusammenhang ein Antrag von CDU und FDP, der mit dem markigen Titel »Nordrhein-Westfalen zum Land der Innovationen und einer starken Wirtschaft machen - Neustart in der Wirtschaftspolitik mit einer Entfesselungsoffensive einleiten« überschrieben ist.

Der Antrag enthält neun Forderungen an die Landesregierung zu Maßnahmen, die möglichst schnell umgesetzt werden sollen. CDU und FDP wollen »unnötige Bürokratie« abbauen, das Vergaberecht vereinfachen, beim Baurecht für eine Beschleunigung sorgen, Unternehmensgründungen fördern, die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen stärken und den Landesentwicklungsplan »wirtschafts- und wachstumsfreundlich« weiterentwickeln. Mit diesen Zielen, die sich in erster Linie an den Interessen der Wirtschaft orientieren, stehen soziale Errungenschaften der letzten sieben Jahre, in denen SPD und Grüne regierten, auf der Kippe.

Am Mittwoch brachten CDU und FDP schon die erste Gesetzesänderung in den Landtag ein, die eine rot-grüne Reform kassieren soll. Das Dienstrechtsmodernisierungsgesetz, eine Initiative der Grünen, hatte Frauen bei der Beförderung im Landesdienst bei gleicher Qualifikation bevorzugt. Zahlreiche Männer hatten gegen das Gesetz geklagt und waren damit auch erfolgreich. Die neuen Regierungsparteien stimmten dem Antrag zu, der den Gesetzesbeschluss rückgängig machen soll. Auch ein anderes Vorhaben betrifft den Landesdienst: Das Verfahren der anonymisierten Bewerbung, bei der im Bewerbungsprozess weder Alter noch Geschlecht oder Migrationshintergrund angegeben werden, das in Nordrhein-Westfalen seit 2013 angewendet wird, soll wieder abgeschafft werden. Serap Güler, Staatssekretärin für Integration, hält das alte Gesetz für »Murks«. Man könne nicht einerseits für Gleichheit sein und andererseits dafür, dass Bewerber ihre persönlichen Merkmale verstecken, sagte sie. Von Antidiskriminierungsstellen gibt es Kritik an der Abschaffung der anonymisierten Bewerbung.

Auch das Tariftreue- und Vergabegesetz, das SPD und Grüne 2012 noch mit den Stimmen der LINKEN beschlossen hatten und das erst vor wenigen Monaten novelliert wurde, steht vor dem Aus. CDU und FDP wollen sich bei öffentlichen Aufträgen darauf beschränken, geltende Tarif- und Sozialstandards einzuhalten. Das NRW-Gesetz ging weit darüber hinaus. So konnten bei öffentlichen Ausschreibungen höhere Ansprüche gestellt werden. Über 20 nachhaltige Verbände und Unternehmen warnen nun davor, dass mit der Abschaffung des Gesetzes eine der schlechtesten Regelungen im bundesweiten Vergleich drohe. »Es kann nicht sein, dass die neue Landesregierung die Verantwortung der öffentlichen Hand für Menschenrechte und Umwelt missachtet, nur um vermeintlich die Wirtschaft von Bürokratie zu entfesseln«, sagt Christian Wimberger von der Christlichen Initiative Romero.

Für die Menschen in NRW könnte das Wohnen, wenn es nach den schwarz-gelben Plänen geht, künftig teurer werden. Zahlreiche Maßnahmen, die SPD und Grüne über die Mietpreisbremse hinaus getroffen haben, sollen abgeschafft werden. Sarah Philipp, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD spricht von einem »Generalangriff von CDU und FDP auf das Mietrecht und damit den Mieterschutz in NRW«. Das landeseigene Zweckentfremdungsgesetz soll wegfallen und die Wohnungsaufsicht gelockert werden. CDU und FDP begründen die Maßnahmen damit, dass sie den Bau und die Modernisierung von Wohnraum attraktiver gestalten wollen.

Insgesamt, so scheint es, räumt die neue Landesregierung zahlreiche soziale Errungenschaften der rot-grünen Regierung, die über geltende Standards hinausgehen, schnellstmöglich wieder ab. Davon, dass die neuen Koalitionäre eine Rücknahme von Reformen sorgfältig prüfen wollen, wie sie es angekündigt hatten, kann keine Rede sein. Was den Interessen der Wirtschaft im Weg steht, hat offensichtlich keine Chance weiterzubestehen.

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