Fußfessel fürs Versammlungsrecht

Nach G20 und Nazikonzert handelt verantwortliche Politik reflexhaft, auch linke Politik

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Rücktrittsforderungen an den Hamburger Ersten Bürgermeister, Olaf Scholz, sind vielgeübte Praxis nach Ereignissen wie in Hamburg, als Proteste gegen den G20-Gipfel wie auch das Vorgehen der Polizei aus dem Ruder liefen. Doch selbst wenn die Debatte mit der Bundeskanzlerin die höchste Ebene erreicht, und diese im ARD-Sommerinterview am Sonntag Partei für den SPD-Bürgermeister Scholz ergriff, sind es doch eher Vorschläge wie jener von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, die geeignet sind, den Rechtszustand des Landes nachhaltig zu beeinflussen.

Der CDU-Politiker regte an, potenziellen Gewalttätern Fußfesseln anzulegen. Eine eher psychologische Barriere, denn an einer Teilnahme an den Demonstrationen sind sie so kaum zu hindern, allenfalls ist sie ihnen so nachzuweisen. Unklar bleibt auch, wie der Minister die juristischen Hürden zu überwinden gedenkt. Denn der »potenzielle Täter« ist wie der »Gefährder« jemand, den man von einer Straftat fernhalten will, die noch gar nicht begangen ist. Da handelt es sich um einen schwer begründbaren juristischen Eingriff.

De Maizière scheint hingegen kein Problem darin zu sehen. »Die Krawallmacher sollten die Demonstrationsorte gar nicht erst erreichen dürfen. Wir sollten ihnen auferlegen, sich in bestimmten zeitlichen Abständen bei der Polizei zu melden oder ihnen notfalls Fußfesseln anlegen.« Eine solche Meldeauflage sei ein relativ mildes und sehr wirksames Mittel. »Bei hochaggressiven sogenannten Fußballfans gehen wir doch auch so vor«, erläuterte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Unliebsame Demonstranten fernzuhalten, das ist der Hintergedanke eines solchen Vorschlags. Eine Einschränkung des Versammlungsrechts ist jedoch problematisch. Schließlich handelt es sich hierbei um ein verfassungsmäßig verbrieftes Grundrecht. Mit einem Vorstoß zur Einschränkung des Versammlungsrechts sorgte zu Wochenbeginn auch der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (LINKE), für Diskussion - auf der anderen Seite der politischen Skala. Unter dem Eindruck des Rockkonzerts »gegen Überfremdung«, zu dem sich am Sonnabend knapp 6000 Neonazis im südthüringischen Themar versammelt hatten und dort ihrem Hass auf Migranten freien Lauf ließen, regte Ramelow eine »Präzisierung« des Versammlungsrechts an. Die Vorschriften müssten so gestaltet werden, dass Behörden und Gerichte »diese Dinge nicht mehr unter Meinungsfreiheit abtun«, sagte Ramelow dem MDR. Die Veranstalter hätten Geld für ihr Netzwerk verdient und Kosten an den Staat abgewälzt. Ramelow: »Da kann man ganz schön traurig und hilflos werden.«

Im Vorfeld des Konzerts, auf dem es von Nazisymbolen wimmelte, hatten Gerichte die Veranstaltung als politische Versammlung charakterisiert und deshalb gegen ein Verbot entschieden. Einige hundert Personen hatten sich dem Treiben entgegengestellt, und LINKE-Politiker wie Ramelow dürften, zumal mit der Verantwortung des Ministerpräsidenten, höchstes Unbehagen verspüren. So auch die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die von einem »ebenso ekelhaften wie erschreckenden Großaufmarsch von Neonazis« spricht.

Eine Einschränkung des Versammlungsrechts lehnt Jelpke dennoch strikt ab. Alle geschichtliche Erfahrung lehre, dass Linke in erster Linie die Leidtragenden solcher Maßnahmen seien. Jelpke: »Wenn der begründete Verdacht besteht, dass bei einer Versammlung Straftaten begangen werden, dann bietet das Versammlungsrecht genug Möglichkeiten für ein Verbot oder strikte Auflagen.« Bei dem Neonazikonzert in Themar sei jedoch offenbar kein Gebrauch davon gemacht worden.

Dies zeige einmal mehr, wie bei Neonazis und Linken »mit zweierlei Maß gemessen wird«. Das Bundesinnenministerium habe Landesbehörden jüngst aufgefordert, Konzerte mit der linken Band Grup Yorum aus der Türkei zu verhindern, da deren Liedtexte angeblich die öffentliche Ordnung gefährden, sagte Jelpke unter Hinweis auf eine Kleine Anfrage. Beim Nazikonzert in Themar sei es »massiv zu Straftaten gekommen - von der Verwendung verfassungsfeindlicher Nazisymbole bis zu Verstößen gegen das Uniformverbot durch den Aufzug uniformierter Neonazis. Da solche Straftaten absehbar waren, hätten Polizei und Versammlungsbehörde im Vorfeld ein Verbot oder strikte Auflagen verfügen können.«

Auch die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (LINKE) ist von Ramelows Idee nicht sonderlich angetan. Verbote könnten nazistisches Gedankengut nicht verhindern, sagte Pau der »Berliner Zeitung«. Es bedürfe einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Sie habe Respekt vor den Gegendemonstranten in Themar, die diese wagten. Kommentar Seite 4

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