Als Ehrendoktor der Philosophie wurde gestern der SPD-Politiker und Ex-Bundeskanzler HELMUT SCHMIDT an der Philipps-Universität Marburg ausgezeichnet. Auf einer Protestveranstaltung gegen die Ehrung sprach der Marburger Politikwissenschaftler
GEORG FÜLBERTH, dessen Rede wir gekürzt dokumentieren.
Als Helmut Schmidt 1982 als Bundeskanzler abgewählt wurde, war die Mehrzahl der Studierenden, die heute hier in Marburg sind, noch gar nicht geboren. Er selbst, Helmut Schmidt, hatte allerdings schon einiges hinter sich.
Erstens: Zu den Taten, die Schmidt da hinter sich hatte, gehört seine Rolle im Deutschen Herbst 1977. Er war als Kanzler Leiter des Krisenstabes. Und als dieser Krisenstab dann seine Tätigkeit beendet hatte, gab es vier Tote mehr in der Auseinandersetzung zwischen Staatsgewalt und Terrorismus. Das waren in alphabetischer Reihenfolge: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan Carl Raspe und Hanns Martin Schleyer. Gegenwärtig ist es noch kaum möglich, unbefangen über diese Dinge zu reden. In der Debatte um Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar laufen die Medien zur Zeit heiß. Spätere Historikerinnen und Historiker werden zu prüfen haben, ob die ausschließlich militärische Logik, der Schmidt damals folgte, wirklich die einzige oder gar optimale Möglichkeit war.
Zweitens: 1977 entdeckte Schmidt in einem Vortrag vor dem Institute for Strategic Studies in London die sogenannte Raketenlücke. Es folgte die Stationierung von Cruise Missiles und Per- shing II-Raketen. Zusammen mit den USA brachte Schmidt damals die Welt an den Rand eines Atomkriegs. Heute rühmt er sich, dass er damit den Zusammenbruch der Sowjetunion beschleunigt habe. Dieses Eigenlob, finde ich, sollten wir ihm gönnen. Es schließt ja - gewiss ohne dass Schmidt das selber merkt - die Verantwortung dafür ein, dass die Welt danach nicht sicherer geworden ist. Schmidt hat das Wettrüsten nicht beendet, sondern er hat das Tor zu einer weiteren Militarisierung der Politik aufgestoßen, die heute noch anhält und weiter eskaliert.
Drittens: Als Finanzminister und Kanzler hatte Helmut Schmidt am Anfang gute Berater. Man kann ihm zugute halten, dass er unter dem Einfluss dieser Berater, darunter Albrecht Müller, ab 1974 immerhin noch einige Jahre versucht hat, durch einen etwas altbackenen Keynesianismus eine neoliberale Wende hinauszuschieben. Aber er hat das im Laufe der Zeit nur noch widerstrebend und inkonsequent getan. Spätestens 1980 hat er komplett umgeschaltet und diese neoliberale Wende selbst durchgepaukt - gegen seine Partei, die ihm dann schließlich nicht mehr folgen wollte. Durch beides, durch seine Inkonsequenz und dann durch seine Wende, wurde Helmut Schmidt zum Kanzler der Massenarbeitslosigkeit. 1974 trat er sein Amt an. 1975 begann die Massenarbeitslosigkeit. Sein halbherziges Gegensteuern war erfolglos. Und zum Schluss hat er bei der Abwärtsfahrt auch noch Gas gegeben. Nach seiner Abwahl, als Herausgeber der »Zeit«, schrieb er dann plötzlich Artikel gegen die Bundesbank und gegen die Börse, während im Wirtschaftsteil seines Blattes genau das vertreten wird, was er auf der ersten Seite zuweilen kritisiert. Da passt nichts zusammen.
Viertens: Helmut Schmidt war der Kanzler der Berufsverbote. Die haben zwar mit Brandt begonnen, aber dieser hat immerhin später öffentlich bekannt, dass er da einen Fehler gemacht habe. Unter Brandt wurden die Berufsverbote nur in den Ländern praktiziert. Seit Schmidt kam es auch zu Berufsverboten auf Bundesebene. Wir denken dabei an unseren ehemaligen Marburger Mitbürger Herbert Bastian, der unter Schmidt als Postbeamter entlassen wurde.
Für diese vierfache Lebensleistung soll Helmut Schmidt also heute zum Ehrendoktor der Philosophie gemacht werden. Professor Janich (Philosoph an der Marburger Universität - die Red.), der Initiator dieser Peinlichkeit, sagt, die Ehrung gelte der Leistung Schmidts als Philosoph. Von solchen Leistungen Schmidts auf dem Gebiet der Philosophie ist aber nichts bekannt, außer dass er sich selbst für einen Philosophen hält. Solche und ähnliche Einbildungen haben auch andere Menschen. Es gibt ja auch immer wieder einmal Zeitgenossen, die sich für den Kaiser Napoleon halten. Helmut Schmidt ist Hobby-Philosoph. In seiner Freizeit spielt er Orgel. An der Philipps-Universität gibt es das Fachgebiet Musikwissenschaften. Aber niemand dort ist bisher auf die Idee gekommen, ihm den Ehrendoktor für Musik zu verleihen.
Man fragt sich also, was das Ganze soll. Jürgen Habermas hat einen Fingerzeig gegeben. Er hat geschrieben, in Schmidts Handeln als politischer Pragmatiker sei vielleicht so etwas wie ein Philosoph sichtbar geworden. Wenn dieser Politiker jetzt also als Philosoph geehrt wird, wird auch die Raison seines Handelns prämiiert: Primat des militärischen Denkens, Priorität des Staatsinteresses gegenüber den Interessen der Einzelnen und der Gesellschaft, ökonomischer Opportunismus. Das ist die politische Dimension dieser Ehrung.