Abschiebebehörde ICE: »Wir entfernen Verbrecher«

Welche Rolle spielt die Abschiebebehörde Immigration and Customs Enforcement in Trumps Projekt?

Proteste gegen die Abschiebebehörde ICE in Las Vegas/Nevada.
Proteste gegen die Abschiebebehörde ICE in Las Vegas/Nevada.

Im Zentrum der Proteste der vergangenen Tage steht die Bundesbehörde »Immigration and Customs Enforcement« (ICE), die mit ihren Razzien gegen Einwanderer für Angst und Schrecken in vielen Arbeitervierteln der USA sorgt. Nach der Festnahme von einigen Dutzend Migrant*innen in Los Angeles hatten sich am Freitag vergangener Woche zunächst mehrere Hundert Demonstrant*innen friedlich vor einer Gefangenensammelstelle versammelt. Als später Anti-Riot-Einheiten aus dem Gebäude heraus mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Protestierenden vorgingen, entzündeten sich die Unruhen, die verglichen mit den Black-Lives-Matter-Krawallen 2020 bisher allerdings sehr begrenzt geblieben sind.

Die Abschiebebehörde ICE wurde 2002 nach den Anschlägen in New York im Rahmen des »Homeland Security Acts« gegründet, der die Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten des Staates drastisch erweiterte. Im Unterschied zu den regulären Migrationsbehörden besteht die Aufgabe des ICE im »Schutz der Nationalen Sicherheit« und in der Bekämpfung des »transnationalen Verbrechens«. Migration, Kriminalität und Terrorismus wurden bei der Gründung der Behörde also gezielt als zusammenhängender Themenkomplex etabliert. So heißt es auf der ICE-Webseite: »Die Mission von ICE ist es, Amerika vor grenzüberschreitendem Verbrechen und illegaler Immigration zu beschützen, die die nationale und öffentliche Sicherheit gefährden.«

Dementsprechend ist die Behörde, in der 20 000 Personen arbeiten und die mittlerweile über einen jährlichen Etat von neun Milliarden Dollar verfügt, nicht für Migrationsfragen, sondern für Ermittlungs- und Polizeiaufgaben zuständig. Während beispielsweise das »Programm für kriminelle Ausländer« Strategien entwickeln soll, »die die Fähigkeit zur Festnahme und Abschiebung von Ausländern aus den Vereinigten Staaten verbessern«, kümmert sich die Abteilung für Abschiebemaßnahmen (Enforcement and Removal Operations, ERO) um jene Razzien, die jetzt zum Auslöser der Unruhen wurden. Das Motto der ERO könnte aus einem rechtsextremen Parteiprogramm stammen: »Wir entfernen Verbrecher aus unseren Communitys«, heißt es markig in der Selbstdarstellung der Einheit.

Auch wenn das ICE unter dem republikanischen Präsidenten George Bush Junior (2001 bis 2009) gegründet wurde, baute die Obama-Regierung die Behörde in den darauf folgenden acht Jahren weiter aus. Eine Studie des Migration Policy Institute von 2017 konstatiert, dass das Department für Homeland Security im letzten Jahr der Obama-Präsidentschaft 530 250 Migrant*innen festnahm und 344 354 abschob – was Obama bei Nichtregierungsorganisationen den Titel eines »Deporter in Chief«, des »Chef-Abschiebers«, einbrachte. Tatsächlich erhöhte Obama die Ausgaben für die Abschiebebehörde zwar und senkte die Zahl der Deportationen im Grenzgebiet (sogenannte Returns). Doch die Zahl der von der ICE durchgeführten Deportationen (Removals) nahm unter dem demokratischen Präsidenten deutlich zu: von zwei Millionen Personen während der ebenfalls achtjährigen Präsidentschaft von Bush auf drei Millionen unter Obama.

Die Anti-Abschiebe-Proteste in den USA

Es ist die erste größere Protestwelle gegen die Regierung Trump: Nach Razzien der Abschiebebehörde ICE kam es in Los Angeles vergangene Woche zu nächtlichen Krawallen. Der rechtsextreme Präsident reagierte mit der Entsendung von Soldaten. Neben 4000 Nationalgardisten patrouillieren nun auch 700 Marines auf den Straßen von Los Angeles.
Die oppositionellen Demokraten sehen in dieser Maßnahme, die gegen den Willen des demokratischen Gouverneurs Gavin Newsom erfolgte, einen weiteren Schritt in der Errichtung eines autoritären Regimes durch den Präsidenten.
Für das Wochenende sind in über 1500 Städten Kundgebungen gegen die Trump-Regierung angekündigt. Ob sich daraus eine landesweite Gegenbewegung entwickelt, bleibt jedoch abzuwarten. Zumindest in Los Angeles scheinen Armee und Polizei die Lage nach der Verhängung einer nächtlichen Ausgangssperre durch die demokratische Bürgermeisterin Karen Bass wieder unter Kontrolle zu haben. raz

Insgesamt wird der Kreis der vom ICE gejagten Personen, also der Migrant*innen ohne Aufenthaltstitel, auf knapp 14 Millionen Personen geschätzt. Interessanterweise blieb diese Zahl zwischen 2010 und 2024 trotz der Regierungswechsel zunächst konstant, stieg dann aber ab 2020 deutlich an. Dass noch unter dem Republikaner Trump die illegale Migration zunahm, verweist darauf, dass Migrationsbewegungen weniger mit der jeweiligen Regierungspolitik als mit ökonomischen Zusammenhängen zu erklären sind. Der Anstieg ab 2020 wird von Expert*innen vor allem auf die Corona-Pandemie zurückgeführt, die in vielen lateinamerikanischen Gesellschaften eine Massenverarmung auslöste.

Das Abschiebesystem mit seinen privat betriebenen Gefängnissen ist für einige Unternehmen ein milliardenschweres Geschäft.

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Während der ersten Präsidentschaft von Trump setzte das ICE ganz demonstrativ Praktiken ein, die die Betroffenen terrorisieren sollten. Berüchtigt war vor allem die Inhaftierung minderjähriger Kinder, die – wie etwa die britische BBC berichtete – ohne ihre Eltern in Käfige eingesperrt wurden. Doch obwohl unter dem Demokraten Joe Biden ab 2021 auf derartige Maßnahmen verzichtet wurde, änderte sich an der sonstigen Praxis der Behörde eher wenig. Ende 2024 verkündete das ICE stolz, man habe 2024, also im letzten Amtsjahr Bidens, die unter Trump erreichten Rekordzahlen gebrochen. Bemerkenswert ist weiterhin auch, dass die täglichen ICE-Deportationen (Removals) in den ersten Monaten 2025 unter Donald Trump niedriger lagen als unter seinem Amtsvorgänger Biden.

Dass nicht in noch größerem Stil abgeschoben wird, liegt offenbar auch an den begrenzten Kapazitäten der Abschiebegefängnisse. Gerade in diesem Bereich ist die Trump-Regierung zurzeit enorm aktiv. Ein großer Teil der »Detention Centers«, in denen die verhafteten Migrant*innen bis zur Deportation untergebracht sind, betreiben Privatfirmen wie Geo Group und Core Civic. Die in Florida ansässige Geo Group unterhält neben Gefängnissen auch psychiatrische Anstalten, das aus Tennessee stammende Core Civic erhielt bereits 2016 von der Obama-Regierung einen Auftrag in Höhe einer Milliarde Euro zur Errichtung von Abschiebegefängnissen.

Die Profitorientierung der Unternehmen sorgt dafür, dass auf Kosten der Inhaftierten an allen Ecken gespart wird. Nichtregierungsorganisationen berichten von einer katastrophalen medizinischen und Lebensmittelversorgung. Tatsächlich sind allein seit dem Amtsantritt Trumps neun Migrant*innen in den »Detention Centers« gestorben.

Silky Shah von der Nichtregierungsorganisation »Detention Watch Network« sieht einen Paradigmenwechsel in der Abschiebepolitik, der dem von 2002 ähnele. So seien im Haushaltsentwurf von Donald Trump zusätzliche 45 Milliarden US-Dollar für das Abschiebesystem vorgesehen, berichtete Shah im Interview mit dem Sender Democracy Now, »13 Mal mehr als im Augenblick.« Für die beteiligten Unternehmen seien diese Pläne extrem lukrativ. Die privaten Betreiber werden kaum kontrolliert, wofür sie die Staatsgelder verwenden.

Laut Shah sind die Inhaftierten in Abschiebehaft noch größeren Schikanen ausgesetzt, als es in vielen Gefängnissen der Fall ist. So würden Inhaftierte oft regelrecht »verschwinden«: Zur Strafe für aufsässiges Verhalten würden sie in andere, weit entfernte Abschiebegefängnisse verlegt, ohne dass ihre Familien über den Aufenthaltsort informiert würden.

Gegenwehr aus der Politik, so Shah, sei leider kaum zu erwarten. Zwar hätten einige demokratische Abgeordnete angefangen, »Detention Center« zu besuchen und damit Öffentlichkeit herzustellen. Aber insgesamt hätten die Demokraten in der Frage kapituliert. »Kamala Harris hat einen Wahlkampf gemacht, in dem sie betonte, dass sie härter sei als Trump.«

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