EU erwägt »Nuklearoption« gegen Polen

Präsident Duda verweigert Zustimmung zu Justizreformen / Jarosław Kaczynski sorgt für Eklat im Sejm

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Mittwochmittag zeigte die EU-Kommission eine ihrer schärfsten Waffen in Richtung Warschau: Vizepräsident Frans Timmermans sagte in Brüssel, dass mittlerweile nicht einmal mehr ausgeschlossen wird, ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages gegen Polen einzuleiten - die sogenannte »Nuklearoption«. Die sieht bei »schwerwiegender und anhaltender Verletzung« der im Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion die Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vor. Brüssel fordert Polens Regierung auf, die Justizreformen sofort zu stoppen: Die könnten »sehr bedeutende negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz« haben.

Zuvor am Morgen hatte das Parlament die Reform des Obersten Gerichts zur Überarbeitung in den zuständigen Ausschuss verwiesen. Denn am Dienstagabend hatte Staatspräsident Andrzej Duda überraschend die Unterschrift zum Gesetz zur Neubesetzung des Landesrichterrats (KRS) verweigert und Änderungen verlangt: In der jetzigen Form wirke es »wie ein politisches Diktat«. Und mehr: Solange das Gesetz nicht geändert ist, will Duda auch die Reform des Obersten Gerichts blockieren - ohne seine Unterschrift treten die Gesetze nicht in Kraft.

Das Gesetz sieht vor, dass das Parlament künftig allein über die Besetzung des KRS entscheiden soll. Im Sejm hat die rechte Regierungspartei PiS die Mehrheit inne. Dem Rat obliegt wiederum die Besetzung der Richterposten an den ordentlichen Gerichten. Er dürfe aber nicht »einer einzigen Partei, einer einzigen Gruppierung unterworfen werden«, sagte Duda. Er fordert, die Mitglieder des KRS künftig mit einer DreiFünftel-Mehrheit vom Parlament wählen zu lassen. Damit wäre die PiS derzeit aber auf Stimmen anderer Parteien angewiesen.

Nach dem überraschenden Veto Dudas - er war bis 2015 PiS-Mitglied, arbeitete für deren Gründer Jarosław und Lech Kaczyński und trägt die Regierungsvorhaben in aller Regel mit - lagen bei der PiS-Führung die Nerven blank. Während vor dem durch Polizisten vollständig abgeriegelten Sejm Tausende Demonstranten »Freie Gerichte, wir wollen ein Veto!«, skandierten, wollte Ministerpräsidentin Beata Szydlo zunächst nicht einlenken. Die PiS werde »die Reformen zu Ende bringen«, sagte sie. Später am Abend vertagte sich das Parlament aber - nach einem Ausbruch Jarosław Kaczyńskis. Er beschimpfte die Opposition als »Verräter« und »Kanaillen«. Als diese ihm vorwarf, er zerstöre die Gewaltenteilung und handele damit gegen den Willen seines verstorbenen Bruders, des Ex-Präsidenten Lech Kaczyński, brach es aus ihm heraus: »Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn zerstört und ermordet!« Der PiS-Vorsitzende geht davon aus, dass der Flugzeugabsturz des Staatsoberhaupts 2010 bei Smolensk ein Anschlag war.

Mehr als eine Atempause ist Dudas Veto allerdings nicht. Auch er steht den Reformen nicht grundsätzlich entgegen - und auch seine Änderungsvorschläge seien verfassungswidrig, sagte KRS-Sprecher Waldemar Zurek.

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