Störgeräusche

MimiCof & 1115

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Lassen Sie sich entführen in einen musikalischen Kosmos, der nicht weiter von der Party entfernt sein könnte. Niemand braucht Partys. Das Label Alien Transistor tut sich erfreulicherweise mit solcher für Partys unbrauchbarer Musik hervor. Auch abseits der Tanzflächen und Schunkelrunden gibt es Electronica, und die ist oft aufregender als der jeweils frisch gehypte Elektropop der Stunde. Zum Beispiel die Musik von Midori Hirano: dunkel-sinistre, psychedelische Maschinenmusik, in der es aus Rohren rattert und aus Röhren zischt, in der Signaltöne piepsen, Tropfsteinhöhlengeräusche ertönen und Schleifmaschinen brummen und die den Hörer auch sonst mit freundlichen Störgeräuschen und Rhythmusloops begrüßt. Ist das noch Ambient-Musik, die uns da, wie’s scheint, aus dem Inneren riesiger Schiffsbäuche entgegenrumort? Der Soundtrack einer Dokumentation über schwarze Löcher? Akustische Konzeptkunst? Oder all das zusammen? Die in Berlin lebende japanische Pianistin und Klangexperimentatorin Midori Hirano, die auch unter dem Namen MimiCof Musik produziert, zeigt hier, was man mit einem analogen Buchla-Synthesizer aus den 70er Jahren, mit dem sie exzessiv experimentiert hat, alles machen kann. Herausgekommen ist eine Musik, die in dicken Wülsten aus der Tiefe des Raumes hervorquillt und dorthin wieder zurückströmt.

Das mit dem Collagieren von Geräuschen, Zitatfetzen und verzerrten und verstolperten Technobeats arbeitende Münchner Electro-Duo 1115 wiederum will seine teils improvisierte Musik auch als politische Intervention gegen die Festung Europa verstanden wissen bzw. als Kommentar zur rassistischen Ausgrenzung und Unsichtbarmachung eines ganzen Kontinents. Auf dem ihrer CD beigegebenen Faltblatt finden sich wohl deshalb einige Textbrocken, in denen von Entfremdung und Ideologiekritik die Rede ist, vom europäischen Kolonialismus, vom Afrofuturismus Sun Ras und dem »Afropessimismus« sowie von der Merkel’schen Raute und dem Mercedes-Stern. Was mit diesem Stichwort-Dropping gesagt werden soll, erschließt sich nicht zwingend. Jedenfalls wird hier viel mit Verweisen auf eine europäische Kulturgeschichte gearbeitet, in deren Verlauf die Exklusion des vermeintlich Fremden bis heute konstitutiv war und ist.

Fest steht: Vom herkömmlichen Schönwetter-Elektropop will man auch hier nichts wissen. »Fertig ausproduzierte Songs arbeiten mit Verknappungen und Zuspitzungen, mit denen versucht wird, die Hörer zu affizieren. Das interessiert uns aber nicht. Wir begreifen das Musizieren und Improvisieren als soziale Praxis, und da gehören die Irritationen, die Fehler, die Störgeräusche, die Frustration mit dazu«, erklärte neulich der Sänger des Duos, Fehler Kuti, im Gespräch mit der »Süddeutschen Zeitung«.

MimiCof: »Moon Synch« (Alien Transistor/Indigo/Morr Music)

1115: »Post Europe« (Alien Transistor/Indigo/Morr Music)

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