Doch keine zweite »Kölner Silvesternacht«

Vorläufige Bilanz der Polizei zum Volksfest in Schorndorf nimmt der AfD den Wind aus den Segeln

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der AfD geht es derzeit nicht gut. Das liegt nicht in erster Linie an den Querelen um Parteichefin Frauke Petry, an deren Stuhl zahlreiche Funktionäre sägen. Noch problematischer ist für die Partei, dass ihr die Themen fehlen, mit denen sich rechte Protestwähler mobilisieren lassen. Weil die Flüchtlingsabwehr an Europas Außengrenzen wieder besser funktioniert, kommen weniger Schutzsuchende nach Deutschland und allein mit Euro- und EU-Skepsis kann man keinen erfolgreichen Wahlkampf führen. Umfragen sehen die AfD bei nur noch sieben Prozent.

Doch seit dem vergangenen Wochenende sah die Partei auf einmal ihre Chance gekommen, wieder auf sich aufmerksam zu machen. Die baden-württembergische Polizei hatte berichtet, dass es bei einem Volksfest in Schorndorf bei Stuttgart unter anderem zu »zahlreichen Flaschenwürfen« gekommen sei. Auch die Beamten wurden attackiert, als sie einen mutmaßlichen Täter festnahmen. Zudem wurden neun Sexualdelikte registriert, bei denen sich in drei Fällen der Anfangsverdacht einer Sexualstraftat nicht bestätigt habe. Einige Tatverdächtige sind Asylbewerber.

Die AfD, die jede Gelegenheit nutzt, um gegen Geflüchtete Stimmung zu machen, beantragte für Donnerstag eine Debatte im Stuttgarter Landtag mit dem Titel »Schorndorfer Stadtfest: Die ›Kölner Silvesternacht‹ ist in der schwäbischen Provinz angekommen«. Die Diskussion geriet allerdings zur Farce. Jörg Meuthen, Landtagsfraktionschef der AfD, räumte ein, dass die Ereignisse nicht die Dimension der Kölner Silvesternacht erreicht hätten, wo Hunderte Sexualdelikte gegen Frauen verübt worden waren.

Die Polizei hatte kurz vor Meuthens Landtagsrede ihren Bericht »präzisiert«. Am Wochenende hieß es vonseiten der Beamten, dass sich in der Nacht zum Sonntag »ungefähr bis zu 1000 Jugendliche und junge Erwachsene« im Schlosspark versammelt hätten. Bei einem großen Teil habe »es sich wohl um Personen mit Migrationshintergrund« gehandelt. Dann seien Flaschen geworfen worden. Nun erklärte die Polizei, dass nur rund hundert Menschen ein hohes Gewaltpotenzial gehabt hätten und nicht die gesamte Gruppe an den Taten beteiligt gewesen sei. »Insgesamt wurden 53 Straftaten angezeigt und damit fast doppelt so viele wie im Vorjahr«, so das zuständige Polizeipräsidium Aalen. Vergleiche mit »ähnlichen Vorkommnissen in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland« wies die Polizei zurück.

Angesichts dessen fiel Meuthen nicht mehr viel ein. Der AfD-Chef forderte noch eine »Grenzschließung«, um »illegale Migration« zu verhindern. »Schwerstkriminelle« müssten zudem schnell abgeschoben werden.

Dabei geht die Abschiebepolitik von Grün-Schwarz längst darüber hinaus. Nach Angaben des baden-württembergischen Flüchtlingsrats werde in dem Bundesland »auf Familien, Diskriminierung von Minderheiten, Schulbesuche oder Ausbildungs- und Arbeitsplätze keine Rücksicht genommen«. Bis Mitte dieses Jahres hatte die Koalition unter Führung von Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) 1671 Menschen abschieben lassen. Unter den Zielländern waren zahlreiche Staaten, in denen Krieg herrscht oder wo immer wieder Menschenrechte verletzt werden. Abgeschoben wurde unter anderem in die Staaten des westlichen Balkans sowie nach Afghanistan, Irak, Gambia, China und in die Türkei.

Kretschmann hatte im Bundesrat Asylrechtsverschärfungen der schwarz-roten Bundesregierung unterstützt, zugleich aber auch erreicht, dass etwa die Arbeitsaufnahme von einem Teil der Asylbewerber erleichtert wurde. Er handelte nicht ganz uneigennützig. Denn in Baden-Württemberg ist die Arbeitslosenquote niedrig. Fachkräfte werden unter anderem in der Alten- und Krankenpflege benötigt.

Trotzdem werden Asylbewerber auch von Grünen-Politikern unter Generalverdacht gestellt. Boris Palmer, Tübinger Oberbürgermeister und Freund Kretschmanns, hatte kürzlich über einen verbindlichen DNA-Test unter »allen schwarzen Asylbewerbern in der Stadt« nachgedacht. Anlass war die Festnahme eines Gambiers, der der Vergewaltigung verdächtigt wird. Über die Gewalt in Schorndorf hatte Palmer gesagt, sehr junge Asylbewerber seien mittendrin gewesen. Palmer wird von linken Grünen oft als Einzelperson kritisiert. Dass der gesamte Landesverband grüner Vorreiter bei der Nachahmung von AfD-Politik ist, war in der Partei dagegen nicht zu hören.

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