Die kleinen Wünsche groß machen

Die Linkspartei will im Wahlkampf die Sorgen und Hoffnungen des Alltags ins Zentrum stelle. Ein Gastbeitrag von Matthias Höhn

  • Matthias Höhn
  • Lesedauer: 9 Min.

In zwölf Jahren Regierungszeit hätte sehr viel Gutes getan werden können. Insbesondere in einem Land, das über eine leistungsfähige Wirtschaft verfügt. Zum Beispiel den von allen erwirtschafteten Wohlstand nutzen, um das Land gerechter und sozialer zu machen, damit es auch stabiler und sicherer wird.

Angela Merkel hat das Gegenteil getan: Dass es hierzulande so ungerecht und sozial so unsicher zugeht wie seit Jahrzehnten nicht mehr, ist Bilanz und Verantwortung ihrer Politik. Sie erzählt der Öffentlichkeit das Gegenteil: Den Menschen in Deutschland sei es noch nie so gut gegangen wie heute. Wenn Politikerinnen und Politiker beginnen, die Wirklichkeit zu verdrängen, dann wird es gefährlich. So wie ein Kind die Wirklichkeit verweigert, das im Zimmer steht und denkt, es werde nicht gefunden, wenn es sich die Augen zuhält. Donald Trump kennt das.

Der Autor

Matthias Höhn, Jahrgang 1975, ist Landtagsabgeordneter der Linkspartei in Sachsen-Anhalt und Bundesgeschäftsführer der Partei. Der studierte Kommunikationswissenschaftler und Philologe leitet den Wahlkampf der Linkspartei. Diese hat am Freitag in Berlin ihre Kampagne vorgestellt.

Die Wirklichkeit sieht anders aus als die alternativen Fakten der Troika Merkel, Schäuble und Seehofer: eine zunehmend marode öffentliche Infrastruktur, sanierungsbedürftige Schulen, einsturzgefährdete Brücken, ein ausgedünntes Schienennetz, geschlossene Schwimmbäder, überfüllte Universitäten, holprige und überlastete digitale Netze.

Zu dieser Bilanz gehört: Die wenigen, die obszöne Reichtümer ansammeln können, werden von der Merkel-Regierung gehegt und gepflegt. 12,9 Millionen Menschen leben derzeit unterhalb der Einkommensarmutsgrenze. Ein neuer Höchststand seit der Wiedervereinigung. Heute haben 40 Prozent der Bevölkerung real weniger in der Tasche als in den 90er Jahren - und die oberen zehn Prozent haben ein dickes Plus gemacht. 36 Milliardäre besitzen in Deutschland so viel wie die Hälfte der Bevölkerung. Noch nie war die Gesellschaft so reich und gleichzeitig waren so viele Menschen so arm wie heute.

Auch das Land selbst fällt zunehmend auseinander: Das Bruttoinlandsprodukt, das jeder Beschäftigte in Ingolstadt erwirtschaftet, beträgt knapp 118 000 Euro, in Eisenach nur knapp 40 000 Euro. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen liegt in Heilbronn bei 3300 Euro und im Landkreis Vorpommern-Greifswald bei 1400 Euro. Regionen und Kommunen mit geringer Wirtschaftskraft, hoher Langzeitarbeitslosigkeit und geringem Einkommen haben zusätzlich hohe Kinderarmut und beispielsweise hohe Schulabbrecherzahlen. Eine teuflische, sich selbst verstärkende Entwicklung.

Wir machen die Bundestagswahl zu einer Auseinandersetzung um soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit, den oligarchenhaften Reichtum der Wenigen, um Frieden und Abrüstung. Unsere Plakate zeigen: Statt vager oder nichtssagender Sprüche über Europa, Deutschland, Gott und die Welt machen wir das zum Thema, was viele Menschen umtreibt: einen sicheren Job, der das Leben planbar macht; Respekt und eine Rente mit Niveau; Kinder vor Armut schützen; Mieten müssen bezahlbar sein; mehr Personal in Pflege und Gesundheit; Millionäre und Milliardäre besteuern, mehr Geld für Kitas und Schulen; Frieden, Abrüsten, Militärausgaben senken, nicht verdoppeln und entschieden gegen rechte Hetze.

Wir machen mit unserem Wahlkampf den Alltag, die »kleinen« Wünsche und Erfahrungen der Menschen groß: die fehlende Wohnung, die zu hohen Mieten, die langen Wartezeiten bei den Ärzten, fehlende Kita-Plätze und hohe Gebühren, die erschöpfende und viel zu gering bezahlte Arbeit, die Ängste vieler um ihr Auskommen im Alter.

Wir stellen den Alltag der Menschen dorthin, wo er hingehört: in den Mittelpunkt. Auch um die Menschen zu ermuntern, sich einzumischen und mitzuentscheiden - über den Gang zur Wahlurne hinaus.

Unsere Forderungen sind vielfältig. Sie eint jedoch alle ein prägnantes Ziel: Das sehr brüchige soziale Fundament dieses Landes robust zu machen, den Sozialstaat wiederherzustellen, auch weil soziale Stabilität die beste Sicherheitspolitik ist. Dazu gehört, dass die mittleren und unteren Schichten sich nicht länger gegeneinander ausspielen lassen, von den gut qualifizierten Angestellten und Facharbeitern bis zu Langzeitarbeitslosen und Hartz IV-Beziehenden. Denn sie haben viele gemeinsame Interessen.

Wenn die Drohkulisse Hartz IV abgeschafft, Regelsätze und Mindestlohn erhöht würden, dann stiegen auch die Löhne im mittleren Bereich. Diese Mehrheit der Bevölkerung hat das Interesse, Millionäre und Milliardäre stärker zu besteuern, um soziale Sicherheit, Entlastung mittlerer Einkommen und den Ausbau des Öffentlichen zu finanzieren. Denn mit einem guten öffentlichen Nahverkehr, bezahlbarem Wohnraum, einem nahen gebührenfreien Kitaplatz, leistungsfähigen digitalen Netzen, modernen Schulen mit kostenfreiem Essen ist auch Familien oft am wirksamsten geholfen. Wir wollen mit unserer Politik die Lebensqualität der Menschen verbessern.

Wir sind programmatisch gut gerüstet - auch mit konkreten Beispielen. Erstens bei den Steuern: Alle, die weniger als 7100 Euro brutto im Monat verdienen, werden mit uns steuerlich entlastet, dafür werden Bestverdienende und Reiche belastet. Zweitens bei der Rente: Eine Verkäuferin wird nach unserem Rentenkonzept, mit dem wir das Niveau der gesetzlichen Rente wieder auf 53 Prozent anheben, etwa 270 Euro mehr Rente erhalten. Und Susanne Klatten, die zigfache Milliardärin, die zusammen mit ihrem Bruder allein für ihr BMW-Aktienpaket jedes Jahr etwa eine Milliarde Euro zusätzlich bekommt, ohne einen Finger krumm zu machen, wird erheblich höhere Steuern bezahlen müssen. Das zusammen verdient das Prädikat: gerecht. Was wir wollen, ist machbar. Österreich zeigt es, ohne Riester: Rentnerinnen und Rentner erhalten dort im Schnitt 800 Euro mehr Rente. Dafür zahlen alle ein, auch Beamte und Manager. Arbeitgeber zahlen sogar einen höheren Prozentsatz als Arbeitnehmer. Die Rente ist eine Zukunftsfrage der Demokratie. Wenn die Rentenentwicklung hierzulande so bleibt, wird im Jahr 2030 jeder Fünfte im Alter arm sein, im Osten wäre es sogar jeder Dritte. Das wäre eine soziale Katastrophe, die eine Demokratie auf Dauer vermutlich nicht aushält. Niemand kann behaupten, die Kanzlerin sorge für Sicherheit, wenn durch ihre Rentenpolitik absehbar Millionen Menschen im Alter in Armut rutschen.

Die Troika aus Merkel, Schäuble und Seehofer will, dass Deutschland seine Ausgaben für Krieg und Rüstung verdoppelt. Seit der Wahl von Donald Trump drängen die USA besonders darauf, dass die NATO-Staaten bis 2024 mindestens 2 Prozent ihrer Wirtschaftskraft fürs Militär ausgeben. Das wären dann rund 70 Milliarden Euro für Deutschland statt 37 Milliarden Euro heute.

Es ist eine Legende, dass Merkel Trump Paroli böte: Auch auf seinen Druck hin plant sie das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte. Wir werden einen Abrüstungswahlkampf führen und wollen den umgekehrten Weg einschlagen: Die Militärausgaben müssen nach den Erhöhungen der letzten Jahre endlich sinken. Wir wollen Deutschland zum internationalen Vorreiter, zum Abrüstungsweltmeister machen und die eingesparten Milliarden für Bildung und soziale Gerechtigkeit einsetzen.

Neun Deutsche sind derzeit in der Türkei in Haft. Erdogan baut das Land zu einer Diktatur um. Noch immer liefert die Bundesregierung Waffen in die Türkei, der Rüstungskonzern Rheinmetall plant den Bau einer Panzerfabrik in dem Land. Nach wie vor sind deutsche Soldaten in der Türkei stationiert, die von ihren Abgeordneten nicht besucht werden dürfen. Mit verschärften Reisehinweisen allein wird man Erdogan nicht beikommen. Solange Deutsche in der Türkei in Haft sind und das Land zu einer Diktatur umgebaut wird, muss die Bundesregierung bei der NATO verlangen, dass die Mitgliedschaft der Türkei ausgesetzt wird. Das ist das Mindeste. Eine Beistandspflicht gegenüber Diktaturen darf für Deutschland und für jede Bundesregierung nicht akzeptabel sein.

In Zeiten rechtsautoritärer Politik von Trump über Le Pen, Gauland und Erdogan werden Grundsatzfragen wieder wichtiger: Menschlichkeit, Anstand, Respekt, Weltoffenheit, die Verteidigung bestimmter gesellschaftspolitischer Errungenschaften und Freiheiten seit 1968, die einige zurückdrehen wollen. Auch deshalb ist diese Bundestagswahl besonders, weil mit der AfD eine offen autoritär-rassistisch-nationale Partei in den Bundestag einziehen könnte. Wir werden dafür kämpfen, dies zu verhindern, indem wir unser Potenzial maximal ausschöpfen. Wir nennen Wählerinnen und Wähler mindestens drei Gründe. Erstens: Wer AfD wählt, wählt eine anti-soziale Partei. Ihr Programm ist eine Mischung aus FDP und NPD. Zweitens: Wer AfD wählt, stürzt Merkel nicht, sondern stützt sie faktisch im Amt. Weil eine Mehrheit gegen sie nahezu ausgeschlossen ist, wenn die AfD im Bundestag ist. Entscheidend ist aber drittens: Wer AfD wählt, wählt auch die nicht wenigen Nazis in deren Reihen. Wir zeigen klare Kante: Eine Stimme für uns ist ein Statement gegen Rassismus und rechte Hetze.

Wir gehen mit Leidenschaft und hochmotiviert in diesen Wahlkampf. Wir führen einen Wahlkampf der konkreten Pläne und machbaren Konzepte, die wirklich etwas veränderten im Land. Wir bleiben nicht vage und mutlos wie andere, die sich alles offenhalten oder Programme vorlegen, die am Status quo festhalten.

Wir werden um Köpfe und Herzen ringen. Über zehn Millionen Menschen sagen derzeit, sie könnten sich vorstellen, uns zu wählen. Das ist eine tolle Zahl, die Mut macht. 2013 haben uns 3,7 Millionen Menschen ihre Stimme gegeben. Das zeigt, es ist noch Luft nach oben und gar nichts entschieden. Wir wollen zehn Prozent plus X und erneut drittstärkste Kraft im Bundestag werden.

Ich habe schon vor einem knappen Jahr gesagt, dass wir deutlich machen müssen, dass wir das, was wir fordern, auch durchsetzen wollen. Unsere Position ist klar: Wir werben jetzt, in diesem Wahlkampf zuallererst für unsere politischen Inhalte, wir wollen unser Ergebnis maximieren, wir machen Wählerinnen und Wählern ein Angebot, nicht anderen Parteien. Aber ja doch, wir stünden, für ein Mitte-Links-Bündnis bereit, wenn wir damit die Grundrichtung der Politik ändern können. Was denn sonst?

Dass dies gelingt, ist auch der Wunsch der großen Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler. Aber leider ist es ein Trauerspiel mit der SPD. Sie hat ihren Gerechtigkeitswahlkampf beendet, bevor der eigentliche Wahlkampf überhaupt beginnt. Stattdessen sucht sie die Nähe zur Anti-Gerechtigkeitspartei FDP. In Schleswig-Holstein und NRW erklärte die SPD nicht die AfD zum Hauptgegner, der nicht ins Parlament einziehen dürfe, sondern uns!

Der sogenannte Schulz-Effekt hat im Frühjahr jedoch eines gezeigt: Viele Menschen sehnen sich nach einer wirklichen Alternative zur Kanzlerin und nach sozialer Gerechtigkeit. Das heißt für uns: Wir müssen den Job der SPD mitmachen. Das ist zuletzt in den USA, Frankreich und Großbritannien auch gelungen. Sanders, Mélenchon und Corbyn haben - was ihnen nur wenige zutrauten - ebenfalls mehr oder weniger sozialdemokratische Vertretungslücken gefüllt, die die Clintons, Hollandes Sozialisten und der rechte Labour-Flügel gerissen hatten. Gleichwohl sind alle drei dafür angetreten, ihr soziales Programm auch durchzusetzen. Das mobilisiert, weil es den Menschen zum Glück eben nicht egal ist, wer regiert. Wählerinnen und Wähler wissen, woran sie mit uns sind, bei den anderen Parteien können sie es nicht wissen. Denn alle anderen Parteien stehen der Troika Merkel, Schäuble, Seehofer als Koalitionspartner zur Verfügung. Alle anderen sind bereit, die Politik der letzten Jahre mehr oder weniger fortzusetzen. Wir nicht! Darauf ist Verlass. Deshalb bleibt am 24. September nur die Entscheidung: die LINKE oder die Troika.

Dafür sind wir gut gerüstet. Personell mit unseren beiden Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, mit unseren Kandidatinnen und Kandidaten in Stadt und Land. Und ab jetzt mit einer Kampagne, die sich nicht nur mit der ersten Großfläche und den Themenplakaten an jene richten wird, die keine Lust mehr haben auf ein »Weiter« so der Politik. All jenen wollen wir Lust auf die LINKE machen.

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