Apolda wird Ort der Künste

Thüringen: Einstige Strickerstadt lockt mit Ateliers in alten Fabriken und viel Landschaft

  • Doris Weilandt, Apolda
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Laden fällt auf. Auf weißen Sockeln stehen keramische Objekte, dahinter ein großformatiges Bild. Erst kürzlich haben Annette und Gerd Wandrer diesen Verkaufsraum mit Werkstatt und Atelier in der Bahnhofstraße von Apolda bezogen. Auf die Idee, sich in dem thüringischen Städtchen nach neuen Arbeitsmöglichkeiten umzutun, kamen die beiden Berliner durch eine Ausstellung. »Die Apoldaer Kulturfabrik hatte einen Preis gewonnen und die Berliner Galerie Raab zu einer Ausstellung eingeladen. Die Organisatoren waren in meinem Atelier und da kam das Gespräch auf Möglichkeiten in Apolda«, erzählt Gerd Wandrer.

Das Künstlerpaar wollte weg aus Berlin, weil die Mieten immer teuer wurden und das Viertel, in dem sie 30 Jahre lebten, sich zunehmend entmischte. Neben attraktiven Ateliers in der ehemaligen Strickerstadt Apolda lockte den Maler Wandrer vor allem auch die Thüringer Landschaft: »Mit dem Fahrrad bin ich schnell draußen in der Natur.«

Doch ganz so einfach war das Ankommen dann aber nicht. Erst nach mehreren Anläufen fanden die beiden Berliner einen Vermieter, der ihnen mit offenen Armen entgegen kam: Heinrich Großer-Eckardt. Der ehemalige Elektromeister ist ein kunstsinniger Mensch. Er gehört zu den Mitbegründern des Kunsthauses, war dort das 7. Mitglied: »Ich habe mich gefreut, dass Künstler nach Apolda kommen.« Wandrer hat sein Atelier in der ersten Etage. Das Bild »Auf See« gehört zu den ersten Arbeiten, die in der neuen Umgebung entstanden sind.

In Apolda sind die Wege kurz. Nicht weit von Wandrers Laden liegt die Kulturfabrik. Der Verein bespielt die ehemalige Woll- und Strickwarenfabrik der Firma Karl Köcher. Das Spannbetongebäude aus den 1920er Jahren bietet neben guten Arbeitsmöglichkeiten auch ideale Ausstellungsflächen.

Gerade ist die Weimarer Bauhaus-Universität mit einer Gruppenausstellung zu ihrem erstmals ausgelobten Kunstpreis in der Kulturfabrik zu Gast. Es ist keine Premiere, wie Kurator Andreas Lenz bemerkt. Im letzten Jahr hat sich die Hochschule mit »Bauhaus Essentials« eingemietet, einer Ausstellung über studentische Arbeiten aus sämtlichen Fachbereichen. In Weimar gibt es für solche Formate schon lange keine Ausstellungsflächen mehr.

Neben der Größe der Apoldaer Kulturfabrik - rund 1000 Quadratmeter stehen zur Verfügung - ist es aber auch die gestalterische Freiheit, die lockt. Hier gibt es für Künstler und Ausstellungsmacher kaum Beschränkungen. Die nächsten fünf Jahre wollen die Kuratoren von der Bauhaus-Universität die Kunstpreis-Ausstellungen in der Kulturfabrik veranstalten. Den Abschluss, so Christiane Wolf, soll die Bauhaushaus-Ausstellung 2023 bilden. Die Leiterin des Archivs der Moderne sagt lächelnd: »Die Bauhaus-Universität Weimar schwappt langsam nach Apolda herüber.«

Unten im Café treffen die Ausstellungsmacher auf ständige Mieter. Philine Görnandt kommt aus Jena. In der boomenden Stadt im »optical Valley« sind alle Räume knapp und teuer - egal ob für Gewerbe, Büro oder Wohnung. Die Papierkünstlerin fühlt sich in Apoldas Kulturfabrik wohl. Sie mag das Miteinander und öffnet gern zur Museumsnacht oder bei anderen Gelegenheiten ihr Atelier für interessierte Gäste. Die Entscheidung, nach Apolda zu gehen, war für sie richtig. Hier hat sie genug Platz, ihre von Naturformen inspirierten Papierobjekte zu entwickeln.

Und die Kulturfabrik ist nicht das einzige Industriegebäude in Apolda, das inzwischen als Atelierhaus fungiert. In der Straße Neusätze haben sich viele junge Künstler eingemietet, vor allem Studenten oder Absolventen der Bauhaus-Universität. Seit 2015 gehört auch Altmeister HPM (Horst Peter Meyer) dazu. In Weimar gab es keine Möglichkeit für ihn, sein Atelier zu erweitern. Jetzt verfügt er über 150 Quadratmeter - genug Platz zum Malen und zum Atmen für seine großformatigen Bilder. Der Künstler hat hier einen passenden Ort gefunden, ein Refugium, in dem er ungestört arbeiten kann.

Auch zum Feiern gibt es Möglichkeiten. Im Garten des Altmeisters treffen Maler seiner Generation auf die jungen mit einer anderen Bildsprache, einem anderen künstlerischen Wollen. Woanders hätten sie sich vielleicht nie füreinander interessiert. Aber in Apolda rückt man eng zusammen und nimmt sich wahr.

Auf das Wahrnehmen hoffen auch die Neu-Apoldaer Annette und Gerd Wandrer. HPM ist der einzige Künstler, den sie bisher kennen. Sie wollen sich auf Spaziergängen die Stadt nach und nach erschließen und Kontakte knüpfen - in der Kulturfabrik, im Kunsthaus oder in ihrem Laden.

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