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13 000 Jahre Arbeit

Für 222 Millionen Euro soll Neymar vom FC Barcelona nach Paris wechseln - verändern wird es den Fußball nicht

Was braucht man, um einen Turm zu bauen, der genau 517,26 Kilometer hoch ist? Beispielsweise 222 Millionen Ein-Euro-Münzen! Absolut unrealistisch. Aber solche Vergleiche kursieren derzeit unzählige. Weil die Transfersumme von 222 Millionen Euro für den bevorstehenden Wechsel des Brasilianers Neymar vom FC Barcelona zu Paris St. Germain eine neue Dimension für den Fußball darstellt. Das stimmt aber nur insofern, dass sich die Ablösesumme für den teuersten Spieler der Welt innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt hat.

Im vergangenen Sommer war der Franzose Paul Pogba für 105 Millionen Euro von Juventus Turin zu Manchester United gekommen. Aber: Dass viele genau jetzt den Anfang vom Ende gekommen sehen, weil diese Summe nicht mehr greifbar und den Menschen nicht mehr vermittelbar sei, ist das heuchlerisch und nichts mehr als schnelle Effekthascherei. Moral und Werte? Sie spielen in diesem Sport schon lange keine Rolle mehr. 2001 beispielsweise überwies Real Madrid 75 Millionen Euro für Zinedine Zidane an Juventus Turin.

Christian Streich steht hingegen nicht in dem Ruf, seine Fahne in den Wind zu hängen. Der Trainer des SC Freiburg sah das System Profifußball schon immer kritisch - und fand auch zum Fall Neymar passende Worte. »Mir ist völlig egal, ob der 220 Millionen oder 440 Millionen kostet. Es übersteigt meine Fähigkeit, das einzuordnen.« Eines weiß Streich aber mit Sicherheit: »Der Gott des Geldes hat wieder mal gesiegt. Und der Gott des Geldes wird immer größer. Und irgendwann verschlingt er alles.«

Das große Geschäft Profifußball aber ist noch lange nicht am Ende. »Der Markt scheint es herzugeben«, nennt Sportphilosoph Dr. Elk Franke einen wichtigen Grund und stellt diesen Sport in eine gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang: »Wenn wir uns klar machen, dass in diesem Moment mehrere Milliarden um den Erdball umgebucht werden, ohne dass Werte dahinter stehen, muss man feststellen, dass die Finanzwirtschaft abgekoppelt ist von bodenständigen Wertediskussionen.«

Auch dem, der in diesen Tagen nach Frankreich schaut, wird schnell klar, dass alles weiter in den gewohnten Bahnen läuft. In Paris versetzte die Ankündigung des Neymar-Wechsels die Fans von PSG in schiere Euphorie. In Lyon merkte der Trainer von Olympique an: »Das zeigt, dass die französische Liga besser ist als man sagt.« Die Zeitung »Libération« verspricht sich mehr Aufmerksamkeit für den heimischen Fußball und selbst eine bessere Auflage: »In wenigen Monaten wird Neymar im Schlamm in Angers spielen, mit einem schlechten Schiedsrichter, einem aggressiven Verteidiger und leichtem Nieselregen. Das wird uns gut tun.« Und auch der französische Haushaltsminister jubelt. »Es ist besser, wenn dieser Fußballspieler seine Steuern in Frankreich zahlt als anderswo«, sagte Gérald Darmanin.

So lang genug Akteure auch Profiteure des Geschäfts sind, läuft’s. Das gilt auch für die Fans des FC Barcelona. »Söldner raus aus Barcelona« war auf Plakaten in der Stadt zu lesen. Darüber ein Bild von Neymar, den sie »Verräter« nennen. Gerade eben hatten sie ihm noch zugejubelt. Dass er den Klub einst 83,5 Millionen Euro gekostet hat, spielte keine Rolle. Ihren Messi lieben sie natürlich noch immer. Dass der Argentinier jüngst nur für seine Unterschrift unter die Vertragsverlängerung 50 Millionen Euro extra kassiert hat, berührt ihre Leidenschaft für den Zauberfußballer nicht.

Noch ein aktueller Vergleich: Gemessen am geltenden Mindestlohn in Deutschland entsprechen 222 Millionen Euro exakt 13 079 Arbeitsjahre! Sicher, im deutschen Fußball ist alles eine Nummer kleiner als bei den großen spanischen und französischen Vereinen oder in England. Aber nicht, weil die Vereinsführungen das so wollen. Ganz im Gegenteil: Bei jeder Gelegenheit beklagt der FC Bayern Wettbewerbsnachteile im europäischen Kräftemessen. Und dass, obwohl auch die Münchner in den vergangenen sieben Jahren für fast 500 Millionen Euro Spieler gekauft und ihnen darüber hinaus sehr ordentliche Gehälter zahlen. Dieses Missverhältnis zwischen dem Sport und seines Stars auf der einen und den Konsumenten auf der anderen Seite führt in der Regel aber nicht zum Bruch. Die meisten Stadien in der Bundesliga sind Wochenende für Wochenende ausverkauft.

»Neymar ist nicht teuer«, sagt José Mourinho. Man mag von dem eigenwilligen Trainer von Manchester United halten, was man will. Im Leben wie im Fußball wird alles teurer. Und da sind 222 Millionen Euro für »einen der besten Spieler der Welt«, wie Mourinho meint, nicht allzu sehr überzogen. Zumal der Brasilianer mit 25 seine beste Jahre noch vor sich hat. Also wird dieser Wechsel nichts Wesentliches verändern. Leider sind Cristiano Ronaldo und Karim Benzema schon etwas älter. Die Ausstiegsklauseln ihrer Verträge bei Real Madrid sind auf jeweils eine Milliarde Euro fixiert. Die wird wohl leider niemand für einen 31- und einen 29-Jährigen bezahlen. Denn das wäre mal eine Grenze, an dem der Fußball mit seinen korrupten Funktionären und fanfeindlichen Auswüchsen scheitern könnte.

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