Kurt Trautwein (San Francisco, 1972)

Unbekannte Bekannte

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Mission District von San Francisco, unweit der Golden Gate Bridge, fiel mir am Eingang eines Bürogebäudes das Namensschild einer Anwaltfirma auf: Trautwein, Epsom & Smith. Trautwein, dachte ich, doch wohl nicht der Trautwein - und war zurückversetzt in meine englische Schulzeit, sah den schmächtigen Kurt Trautwein, mit dem ich mich einst zerstritten, später aber gut vertragen hatte. Gleich aber verwarf ich den Gedanken - warum sollte es ihn ausgerechnet hierher verschlagen haben: Es wird in der Welt zahllose Trautweins geben. Trotzdem, sagte ich mir, ich würde es bereuen, wenn ich dem nicht nachging.

Im Gebäude hielt mich der Pförtner auf, verlangte zu erfahren, wer ich sei und zu wem ich wolle. Ja, ließ er sich herab, er würde die Kanzlei anrufen, und das tat er dann auch, wobei er den Namen Trautwein merkwürdig zerquetschte, am Ende aber hörte ich ihn sagen: »Go on up, Sir, Mr Trautwein will see you.«

Und tatsächlich: Es war Kurt da hinter dem Schreibtisch, ich erkannte den Freund aus dem englischen Internat. Er lächelte mich an. Schmächtig, wie damals, war er noch immer, wirkte jedoch energisch. Er sprang vom Schreibtisch auf, ging freudig zu mir hin und drückte mir die Hand: »What on earth brings you to Califonia?« Als ich den Prozess gegen Angela Davis erwähnte, wusste er gleich Bescheid, und auf meine Gegenfrage erfuhr ich, dass er kurz nach meiner Internierung in England mit den Eltern in die Vereinigten Staaten ausgewandert war, er in der Columbia University Law studiert hatte und schon seit mehr als einem Jahrzehnt Partner in dieser Anwaltsfirma war.

Nicht nur wirkte er energisch, sondern auch erfolgreich: Maßanzug, auserwählte Krawatte im teuren Hemd, teure Schuhe - und als ich erwähnte, dass ich von San José nach San Francisco wegen der zwei verbliebenen Soledad Brothers gekommen sei, die hier des Mordes an einem Gefängniswärter angeklagt waren, wusste er auch darüber Bescheid. »Drumgo und Clutchette«, sagte er, »George Jackson, Angela Davis’ Geliebten, der auch angeklagt war, haben sie ja, wie es so heißt, auf der Flucht erschossen.« Er schüttelte den Kopf. »Das kennt man ja«, meinte er und schwieg dann.

Seltsam coincidental fand er es, dass wir uns in dieser Stadt neu begegnet waren. »Wer hätte das damals gedacht!« Auch er sei mit einem Gerichtsverfahren ausgelastet, gegen Dow Chemicals nämlich, deren Entlaubungsgift Agent Orange, im Vietnamkrieg eingesetzt, bei zahllosen US-Soldaten Krebserkrankungen hervorgerufen habe. »Unsere Klage auf Schadensersatz läuft auf Hochtouren. Ein Mammutverfahren!«

So energisch er sich mir gezeigt hatte, so mitgenommen und überanstrengt wirkte er jetzt. Hatte ich gehofft, unser Treffen würde sich ausdehnen, wurde ich enttäuscht. Er machte keinen Vorschlag in der Richtung. »I’m under pressure«, sagte er, »arg unter Druck - Du verstehst. Gib mir eine Telefonnummer, wo ich dich erreichen kann.« Das alte Lied, dachte ich: »Don’t call me, I’ll call you.« Ich wandte mich zum Gehen.

Nachdem er mich bis hin zum Erdgeschoss begleitet und Abschied genommen hatte, erwartete ich kein Wiedersehen. Ich sollte Recht behalten. Zwei Tage später sprang mich im »San Francisco Chronicle« folgende Schlagzeile an: Lawfirm Partner Killed in Car Crash. Es zeigte sich, Kurt Trautwein hatte auf der Golden Gate Bridge die Kontrolle über sein Auto verloren, war gegen einen Pfeiler geprallt und dabei ums Leben gekommen. Die polizeiliche Untersuchung hatte ergeben, dass die Muttern des linken Vorderrades gelockert worden waren, um einen Unfall herbeizuführen - Kurt Trautwein war ermordet worden.

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