Der einen Erwartungen, der anderen Geld

Auch eine gewerkschaftsnahe Regierung wie in Thüringen muss viel Kritik von Gewerkschaften einstecken - vor allem bei Bildung und Polizei

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.

Jetzt, da in Thüringen ein neues Schuljahr begonnen hat, kann man wieder nahezu täglich erleben, dass die Gewerkschaften im Freistaat alles andere als zimperlich sind, wenn sie mit der ersten linksgeführten Landesregierung Deutschlands umgehen. Und dabei fallen inzwischen doch Sätze, die ein bisschen netter sein sollen als die Sätze, die Bildungsgewerkschafter vor einigen Monaten über Rot-Rot-Grün im Allgemeinen und das Thüringer Bildungsministerium im Speziellen sagten. Sätze zum Beispiel, in denen der Vorsitzende des Thüringer Lehrerverbandes, Rolf Busch, nun davon spricht, dass die Kommunikation zwischen dem Bildungsministerium und seinem Verband inzwischen »gut« funktioniere. Bei aller fachlichen Kritik, die bleibt, auch wenn sie nun freundlicher formuliert wird: an mutmaßlich zu wenig Personal und zu hoher Arbeitsbelastung im Bildungsbereich.

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Busch noch davon gesprochen, das Bildungsministerium sei das »Ankündigungsministerium« dieser Koalition. Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Kathrin Vitzthum, hatte damals gesagt, wenn sie die Leistung der damaligen Thüringer Bildungsministerin Birgit Klaubert (LINKE) bewerten sollte, könne sie nur eine Drei minus verteilen. Besonders enttäuscht sei sie darüber, dass viele Lehrer noch immer auf Beförderungen und die damit verbundene Besserbezahlung warteten.

Aus der Gewerkschaft der Polizei (GdP) waren und sind ähnliche Forderungen für ihren Zuständigkeitsbereich zu hören: Rot-Rot-Grün solle endlich das Geld zur Verfügung stellen, um deutlich mehr Polizisten einzustellen und diese vernünftig auszurüsten, fordert der GdP-Landesvorsitzende, Kai Christ, immer wieder. Ebenso ist für ihn der Beförderungsstau in der Landespolizei ein dauerhaftes Ärgernis. Wobei aber auch hier gilt: Immerhin ist - bei aller weiter bestehenden inhaltlichen Kritik - die Kommunikation zwischen Christ und Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) zuletzt etwas besser geworden; nachdem beide eine schon fast persönliche Fehde ausgetragen hatten, die ihren Höhepunkt Ende 2016 erreicht hatte.

Damals war es in der Thüringer Polizeischule in Meiningen zu einem Saufgelage gekommen, in dessen Folge zwei Polizeianwärter ihren Dienst quittierten. Poppenhäger machte Christ persönlich für diese Eskapade verantwortlich. Der wiederum nannte die Vorwürfe »unterirdisch« und fragte sich öffentlich, womit er noch zu rechnen habe, wenn der Innenminister sich so auf ihn eingeschossen habe.

Diese Aufzählung der Beispiele von harten Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmervertretern und Regierungskoalitionären ließe sich noch ziemlich umfänglich ergänzen - weshalb in der Gesamtschau das Verhältnis zwischen Gewerkschaftern und Rot-Rot-Grün in Thüringen ziemlich angespannt ist. Und je mehr direkte Regierungsverantwortung ein rot-rot-grüner Koalitionär trägt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Clinch zwischen ihm und einem Gewerkschafter kommt. Was meint: Mit Landtagsabgeordneten kommen viele Gewerkschafter noch recht gut aus. Bei Ministern oder Staatssekretären wird es oft schon schwieriger.

Wie etwa beim sogenannten Azubi-Ticket, für dessen Einführung der stellvertretende Vorsitzende des DGB im Bezirk Hessen-Thüringen, Sandro Witt, ebenso vehement kämpft wie zum Beispiel die SPD-Landtagsabgeordnete Diana Lehmann. Im zuständigen Thüringer Infrastrukturministerium dagegen ist man an der Hausspitze inzwischen nur noch genervt ob des Themas. Infrastrukturministerin Birgit Keller (LINKE) und ihr Staatssekretär Klaus Sühl glauben, schon alles Menschenmögliche für die Etablierung eines solchen Tickets zu tun, das es - in der endgültigen Ausbaustufe - Azubis ermöglichen soll, mit öffentlichen Verkehrsmitteln für einen günstigen Festpreis durch das ganze Land zu fahren; so wie das Studenten im Freistaat heute schon können. Witt und Lehmann können diesen Ehrgeiz nicht erkennen.

Überraschend ist die so eingetrübte Stimmung, weil an der Spitze der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen mit dem Linken Bodo Ramelow ein Ministerpräsident steht, der bekanntermaßen selbst Gewerkschaftsfunktionär war. Der stolz darauf ist, ver.di-Mitglied zu sein. Und der kaum eine Gelegenheit auslässt zu betonen, wie sehr er sich in seinem Herzen noch immer als Gewerkschafter fühlt und deshalb nicht zufällig als Schlichter im Tarifstreit der Deutschen Bahn mit der Lokführergewerkschaft GDL aufgetreten ist; auf Einladung nicht der Bahn, sondern des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky. Allerdings hängt der eine Grund für die eingetrübte Stimmung genau damit zusammen: mit Ramelow und dessen Biografie. Und der Tatsache, dass viele Gewerkschafter in Thüringen nach der rot-rot-grünen Machtübernahme im Dezember 2014 wegen Ramelow riesige Erwartungen an die Politik des Bündnisses hatten. Erwartungen, die so groß waren, dass sie nur enttäuscht werden konnten. In Gewerkschaftskreisen etwa war damals tatsächlich spekuliert, gehofft und geglaubt worden, der schon beschlossene Stellenabbau des Landes werde mit dem Amtsantritt von Rot-Rot-Grün einfach so hinfällig werden.

Was nicht eingetreten ist, auch wenn der Abbau abgeschwächt wurde. Womit wir beim zweiten Grund für die eingetrübte Stimmung sind: Nun, da LINKE und Grüne in Thüringen erstmals Regierungsverantwortung haben, stellen sie fest, dass sich Geld nicht in dem Maße ausgeben lässt, wie sie sich das in ihren Oppositionszeiten erträumt hatten, wie sie es jahrelang öffentlich forderten. Der Ministerpräsident Ramelow erzählt inzwischen regelmäßig eine Geschichte, bei der der Oppositionspolitiker Ramelow ziemlich sicher gesagt hätte, die Landesregierung solle Rückgrat beweisen und sich nicht einschüchtern lassen: Immer wenn er verteidigen muss, dass auch Rot-Rot-Grün plant, Tausende Stellen im öffentlichen Dienst in Thüringen zu streichen, erklärt Ramelow nämlich, dass ihm bei Verhandlungen zwischen den Ländern immer wieder vorgehalten werde, dass Thüringen viel mehr öffentlich Beschäftigte habe als westdeutsche Flächenländer. Ramelow leitet auch daraus die Notwendigkeit zum Stellenabbau ab. Die Gewerkschaften fordern trotzdem wieder mehr öffentlich Beschäftigte.

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