Einer der letzten Sozialdemokraten

Klaus Barthel tritt nach 23 Parlamentsjahren nicht mehr für ein Bundestagsmandat an

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es wirkte so, als habe er den längst verlorenen Kampf noch nicht aufgegeben. Auf der Website des Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel war noch Anfang Juli seine Bewerbung um den Vorsitz der bayerischen SPD prominent platziert. »Antworten statt Beliebigkeit«, lautete sein Motto. In dem Text betonte Barthel, immer vor »einer Politik, die zur gesellschaftlichen Spaltung beigetragen hat«, gewarnt zu haben. Das ist nicht übertrieben. Barthel gehört zu den wenigen SPD-Politikern, die sich seit Jahren gegen Kriegspolitik, Asylrechtsverschärfungen und Sozialabbau wehren.

Die Begeisterung in der bayerischen Parteibasis hielt sich trotzdem in Grenzen. Im Mai verlor Barthel als einer von fünf Kandidaten die Urwahl deutlich. Nur 9,4 Prozent der Genossen stimmten für den 61-Jährigen. Neue Landesvorsitzende der bayerischen SPD wurde die bisherige Generalsekretärin Natascha Kohnen, die als Favoritin ihres Vorgängers Florian Pronold galt. Möglich ist, dass Barthel auch deswegen chancenlos war, weil er nicht so stark wie andere SPD-Politiker in der Landespolitik verankert ist, sondern seinen politischen Schwerpunkt in Berlin hat.

Aus dem Bundestag wird Barthel nun zum Ende der Legislaturperiode ausscheiden. Als er dies dem Vorstand seines oberbayerischen Unterbezirks Miesbach im vergangenen Jahr bekannt gab, war die Überraschung seiner Genossen groß. Es soll vergebliche Versuche gegeben haben, ihn umzustimmen. Barthel, der seit 1994 im Parlament sitzt, betonte, dass seine Entscheidung »kein Ausdruck politischer Resignation« sei. Sie habe rein persönliche Gründe.

Trotzdem dürften die sich häufenden Niederlagen Spuren bei Barthel hinterlassen haben. Auch in seinem konservativ geprägten Wahlkreis hat er es nicht leicht. In Starnberg und Umgebung leben viele betuchte Bürger und Landwirte, die mit den Roten nichts zu tun haben wollen. Ihre Partei ist die CSU. Klaus Barthel und seine SPD blieben hier in den vergangenen Jahren bei den Erst- und Zweitstimmen mal mehr und mal weniger deutlich unter 20 Prozent.

Etwas wehmütig blickte Barthel in den vergangenen Monaten nach Großbritannien und Spanien. Er hat schon lange dafür plädiert, dass sich die SPD an dem Linkskurs der dortigen sozialdemokratischen Parteien orientieren sollte. Es gibt sogar einige Parallelen zwischen Barthel und dem Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Beide galten noch vor wenigen Jahren als kritische Hinterbänkler, die in die Jahre gekommen sind. Doch dann gewann Corbyn auf einmal mehrere Basisabstimmungen der Parteimitglieder und schnitt kürzlich bei den Parlamentswahlen besser ab, als viele vermeintliche Experten gedacht hatten.

In Deutschland sind linke Sozialdemokraten hingegen noch weit davon entfernt, Mehrheiten in der eigenen Partei von sich zu überzeugen. Der konservative Flügel macht die Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden seit Jahren unter sich aus. Inhaltlich ändert sich wenig, wenn sozialdemokratische Politik von Schulz, Gabriel, Steinmeier, Steinbrück oder Müntefering bestimmt wird.

Barthel wird nun außerhalb des Parlaments in der SPD weitermachen. Der studierte Politologe und frühere Gewerkschaftssekretär der ÖTV (heute ver.di) ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA). Hier organisieren sich unter anderem Betriebsräte, Gewerkschafter, Auszubildendenvertreter und gewerkschaftliche Vertrauensleute. Auch Menschen, die nicht Mitglied der SPD sind, können in den AfA mitmachen. Angeblich hat die Arbeitsgemeinschaft bundesweit mehr als 200 000 Mitglieder.

Die AfA war in den 70er Jahren vom damaligen SPD-Fraktionschef Herbert Wehner gegründet worden. Sie sollte »Auge, Ohr und Herzkammer der Partei« sein. Langjährige Vorsitzende vor Barthel waren der frühere Staatssekretär Rudolf Dreßler und der vor vier Jahren verstorbene Saarländer Ottmar Schreiner. Doch die AfA hat in den letzten Jahren als Scharnier zwischen den Gewerkschaften und der SPD an Bedeutung verloren. Bei wichtigen Themen berät die Parteispitze direkt mit den Gewerkschaftsbossen.

So half der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann im vergangenen Jahr, den Kompromiss der SPD-Spitze zum Freihandelsabkommen CETA bei einem Kleinen Parteitag hinter verschlossenen Türen durchzudrücken. Barthel hatte hingegen mit Nein gestimmt. Seine Skepsis, ob die Forderungen der SPD zu dem Abkommen überhaupt umgesetzt werden, hat sich bisher bewahrheitet.

Nicht selten klingt Barthel wie eine Stimme der Vernunft in einem Umfeld, das blindlings mit falschen Versprechungen und einer neoliberalen Politik im roten Gewand auf den eigenen Untergang zusteuert. Er wünscht sich nun für die AfA, dass diese als Betriebsorganisation der SPD angemessen ausgestattet werden und ihr entsprechendes politisches Gewicht verliehen werden sollte. Barthel spielte dabei auch auf die mangelnde Kampagnenfähigkeit seiner Partei in den Betrieben an. Ob wirklich etwas in diese Richtung passieren wird, steht noch in den Sternen.

Barthel hat nicht nur Freunde in der SPD. Das dürfte damit zusammenhängen, dass er oft gegen die große Mehrheit seiner eigenen Fraktion abgestimmt hat. In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause lehnte Barthel die Verlängerung der Bundeswehreinsätze in Libanon, Kosovo und im Mittelmeer ab. Selbst manche Genossen, die sich als links und »moderat« bezeichnen, werden ihm keine Träne nachweinen. In der »FAZ« bezeichneten sie Barthel einmal als Vertreter einer »orthodoxen Parteilinken«. Der Begriff soll offenbar an Marxismus und Klassenkampf erinnern, er trifft aber auf Barthel keineswegs zu. Mit ihm verliert die SPD-Bundestagsfraktion vielmehr einen ihrer letzten Sozialdemokraten.

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