Zuhause ist es doch am schönsten

Globalisierung? Für sich will die Wirtschaftselite davon nichts wissen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Brite John Cryan wurde im Juni 2015 als dritter Ausländer in Folge zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank berufen. Dass dieser Konzern, der über Jahrzehnte wie kaum ein anderes Unternehmen als fest in deutschen Traditionen verankert galt, seit über einem Jahrzehnt von Ausländern geleitet wird - das ist für viele Beobachter ein klarer Beleg für die unaufhaltsame und schon weit fortgeschrittene Globalisierung der Wirtschaftselite.

Die These von der globalen Wirtschaftselite hat weitreichende Folgen. Banker und Spitzenmanager begründen damit ihre hohen Einkommen: »Wenn wir keine Boni zahlen, werden die guten Leute abgeworben«, heißt es. Auf der anderen Seite des Spektrums verweist die Occupy-Bewegung auf die »globale Elite«, um ihren Widerstand zu begründen.

Viele Politiker scheinen resigniert zu haben vor einer Wirtschaftselite, die in Oxford studiert hat, in Frankfurt arbeitet und in New York ihr Geld ausgibt. Wie Fußballprofis sitze die Elite auf gepackten Koffern, allzeit bereit, um den Globus zu jetten und einen besser bezahlten Job anzunehmen. In vorweggenommenem Gehorsam verzichten Regierungen auf Regulierungen, welche die globale Elite verschrecken könnten.

Doch was ist, wenn die Eliten gar nicht so global sind, wie auch viele prominente Sozialwissenschaftler annehmen? Michael Hartmann hat jene Personen unter die Lupe genommen, die die größten Unternehmen leiten. »Sie müssten angesichts der globalen Aktivitäten ihrer Unternehmen selbst zu einem besonders hohen Grad globalisiert sein«, sagt er. Die Hälfte der 1000 größten Konzerne der Welt sitzt in den USA, Japan und China. Doch von 499 Konzernchefs (CEOs) aus diesen Ländern kommen gerade einmal 29 aus dem Ausland.

National geht es auch in anderen großen Ländern wie Russland und Indien zu. Dasselbe gilt für Südkorea, Indonesien oder Mexiko. Auch in Brasilien als dominierender Kraft in Südamerika wird gerade mal einer von zehn Konzernen von Ausländern geführt. In Frankreich sogar nur zwei der 45 größten Unternehmen, in Deutschland immerhin fünf von 32.

Die ausländischen CEOs in Deutschland kommen allerdings - das gilt auch in anderen Ländern - meist aus der Nachbarschaft wie Österreich und der Schweiz. »Überraschenderweise« ist selbst die Finanzbranche mit ihren vermeintlich vaterlandslosen »Söldnertruppen« weltweit ebenso schwach internationalisiert wie die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit. Schwach ist der Internationalisierungsgrad ebenfalls bei Aufsichtsräten und Milliardären.

Hartmann legt einen zweiten Maßstab an, die »Transnationalität« der einheimischen Topmanager. Doch auch damit ist es nicht weit her. Betrachtet man die CEOs der 1000 größten Unternehmen, haben nur 22 Prozent nennenswerte Auslandserfahrungen - 78 Prozent haben niemals für längere Zeit außerhalb ihres Geburtslandes gelebt.

Der Soziologe Hartmann, der seit Jahrzehnten »Eliten« analysiert, nennt als wesentlichen Grund für die geringe Internationalisierung des Topmanagements die Sprache. Selbst dort, wo ein Ausländer einen der 1000 größten Konzerne der Welt leitet, stammt er fast immer aus demselben Sprach- und Kulturraum. Weitere Gründe für die Bodenständigkeit sieht der Darmstädter Professor im Studium an einer »nationalen Elitehochschule« und in der Nähe zu staatlichen Stellen.

Kurzum, zu Hause ist es doch am schönsten. Und daran scheint sich auch in der heutigen Rollkoffergeneration wenig zu ändern. In den vergangenen zwanzig Jahren verlief die Internationalisierung der Wirtschaftselite sogar rückläufig. Eine globale Wirtschaftselite, so Hartmanns Fazit, sei »auch am Horizont nicht zu sehen«. Die Variationen des Kapitalismus seien größer, als die These vom »Ende der Geschichte« nahelege. Dies eröffne den Regierungen politische Handlungsspielräume.

Michael Hartmann: Die globale Wirtschaftselite - Eine Legende, Campus Verlag, Frankfurt und New York 2017, 246 Seiten, Paperback, 24,95 Euro.

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