- Wirtschaft und Umwelt
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Komplexes Geflecht gegen Arbeitsrechte
Liefer- und Fahrdienste nutzen zunehmend Subunternehmen und untergraben so faire Arbeitsbedingungen
Pargat Singh, ein indischer Uber-Eats-Fahrer in seinen 40ern, unterschrieb zu Arbeitsantritt einen Vertrag, erhielt davon aber keine Kopie. Deshalb weiß er nicht, welche Klauseln in seinem Arbeitsverhältnis vorgesehen sind. Mahesh, Mitte 30 aus Südasien, wollte in Berlin eigentlich seinen Master machen. Er erinnert sich an einen Vorfall in einem verschneiten Winter, als er nach einem Unfall fünf Minuten lang ohnmächtig allein in einer leeren Straße lag. Seine Arbeitgeberplattform Lieferando hält er trotzdem für »das Beste unter den Schlechtesten«.
Für Ali, 50 Jahre alt und in der Türkei geboren, ist jede seiner Bolt- oder Uber-Fahrten »Teil der Geschichte eines Menschen«. Das ist für ihn der positive Aspekt seiner Arbeit in einem sonst komplexen und fordernden Geflecht aus Subunternehmen. Die Namen der von Fairwork interviewten Arbeitnehmer*innen wurden zum Schutz ihrer Anonymität verändert.
Fairwork ist eine Projektkooperation zwischen dem Oxford Internet Institute und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Laut der Untersuchung der Forscher*innen haben sich die Arbeitsbedingungen in der deutschen Plattformökonomie seit der vorherigen Erhebung 2021 verschlechtert. Die Plattformökonomie ist jener informelle Arbeitsmarkt, in dem zeitlich befristete Aufträge flexibel und kurzfristig an Arbeitssuchende, Freelancer oder geringfügig Beschäftigte über Onlineplattformen vergeben werden.
Ergebnisbericht 2025: vernichtend
Fairwork untersuchte die Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Verträge, Management-Prozesse und Mitbestimmung der Liefer- und Fahrdienste Lieferando, Flink, Helpling, Bolt, Uber, Uber Eats und Wolt. Das Ergebnis für 2025 fällt vernichtend aus. Nur Flink konnte aufzeigen, dass die Bruttovergütung dem Mindestlohn entsprach. Nur drei Plattformen konnten klare Vertragsbedingungen vorweisen. Keines der Unternehmen zeigte Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit unabhängigen Gewerkschaften. Vier der sieben Plattformen erhielten in der Gesamtbewertung null von zehn Punkten.
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In der Pflege und in der Hausarbeit würden Arbeiter*innen weiterhin inkorrekterweise als freiberuflich oder selbstständig gemeldet, was sich »nachweislich negativ« auf ihre Arbeitsbedingungen auswirke. In allen Bereichen der Plattformindustrie unterliegen Mitarbeitende außerdem weiterhin für sie undurchsichtigen Algorithmen. Diese Intransparenz verschleiert die Konditionen der Arbeitnehmer*innen.
Beide Aspekte – die Bestimmung korrekter Beschäftigungsverhältnisse und algorithmische Transparenz – sind Teil der neuen EU-Richtlinie zu Plattformarbeit, die Deutschland in den kommenden zwei Jahren umsetzen muss. Fairwork kritisiert, dass »der Aspekt des Subunternehmertums in der Plattformökonomie« in dem Gesetz dagegen »wenig Beachtung« finde. Die Auslagerung an Subunternehmen sei derzeit der Trend in den beiden großen Plattformindustrien, bei Fahr- und Lieferdiensten.
Verhinderung fairer Standards
»Das Subunternehmermodell verhindert faire Arbeitsstandards«, schreiben die Autor*innen des Berichts. Grund dafür sei die »informelle und oft irreguläre Situation« von Arbeiternehmer*innen. Manche Arbeiter*innen hätten keine Verträge oder würden informell für mehr Arbeitsstunden vergütet, für die sie dann keine Gesundheits- oder Sozialleistungen erhielten. Oft müssten sie ihre eigene Ausrüstung aufbringen und hätten keine Möglichkeit einer adäquaten Interessenvertretung. Fairwork fordert deshalb, bei der Umsetzung der EU-Richtlinie für Plattformarbeit auch einen Fokus auf die wirksame Regulierung von Subunternehmen zu legen.
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