20 Refrains in 40 Minuten

An diesem Mittwoch beginnt das dreitägige Musik- und Kunstfestival »Pop-Kultur«

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Kätzchen! Überall süße, kleine, flauschige Kätzchen, die uns Passanten arglos aus ihren putzigen Knopfaugen anschauen! Die Reklamestrategie der Kuratoren des heute in der Hauptstadt beginnenden dreitägigen Festivals »Pop-Kultur« ist ebenso ausgefuchst wie durchschaubar. Seit Tagen prangen an Wänden und Bauzäunen in der Berliner Innenstadt große Plakate, die für die zahlreichen Konzerte und Performances des Festivals werben sollen. Allerdings sind auf keinem der Plakate die auftretenden Künstlerinnen und Künstler abgebildet, stattdessen sind Fotos zu sehen, die possierliche Kätzchen und Hundewelpen zeigen.

Angekündigt sind zahlreiche »Konzerte, DJ-Sets, Ausstellungen, Installationen, Gespräche, Lesungen und Filme«. Da dürfte es schwer sein, den Überblick zu behalten. Daher sollen im Folgenden einige Hinweise auf sehens- und hörenswerte Künstlerinnen und Künstler stehen: Am Mittwoch wird es etwa ein Konzert der britischen »Grime-Queen« Lady Leshurr geben. Für denselben Abend ist auch eine »Lichtinstallation« der Liedermacherin Balbina angekündigt, über die der beliebte Musikkritiker Jens Balzer vor zwei Jahren schrieb: »Es gibt in der Musik unserer Sprache nichts sonst, was ihr gegenwärtig vergleichbar ist.«

Auch auftreten werden der Köpenicker Rapper Romano, und zwar »mit Tänzern«, der Berliner Lärmpionier T.Raumschmiere, die Betreiberin des Monika-Labels, Gudrun Gut, die schon seit den frühen 80er Jahren maßgeblich die Entwicklung der in Berlin entstehenden Musik mitprägt, und die Berliner »Understatementpop-Königin« (»Taz«) Masha Qrella.

Weitere Höhepunkte der diesjährigen »Pop-Kultur«-Tage, die heuer im Bezirk Prenzlauer Berg auf dem Gelände der Kulturbrauerei ihren Ort haben: Einer der sehr wenigen deutschen Popstars, die diese Berufsbezeichnung verdienen, ist Andreas Dorau. Der Sänger vereint seit 35 Jahren in seiner spezifischen Art der Schlagermusik Kunstsinn, schmissige Popmelodien, Hedonismus und Stil wie kein anderer. Erst vor Kurzem erschien sein neues Album, über das es vor einiger Zeit in dieser Zeitung hieß, es enthalte »fröhlich-aufgekratzten Rummelplatz-Pop«. Für Freitagabend plant Dorau offenbar etwas Besonderes: »In einem einzigartigen Experiment«, so schreiben die Veranstalter des Festivals, »präsentieren Andreas Dorau und Gäste 20 eigens komponierte Refrains in 40 Minuten«. Überflüssiger Schnickschnack wie Strophen und Soli werden dankenswerterweise einfach weggelassen.

Am selben Abend hat das schottische Hip-Hop-Trio Young Fathers seinen Auftritt, in deren Texten es um Rassismus, scheiternde Kommunikation und gestörte zwischenmenschliche Beziehungen geht. Ebenfalls am Freitag wird Max Rieger (Drangsal, Die Nerven), seines Zeichens der Spiritus Rector der Baden-Württembergischen Neo-Postpunk-Szene, sein Soloprojekt All Diese Gewalt live präsentieren, mit dem er einen dunkel raunenden, hypnotischen Instrumental-Shoegaze-Pop pflegt. Besagter Max Rieger wiederum hat auch das Debütalbum des am selben Abend ein Konzert gebenden, ganz wunderbaren Münchener Quintetts Friends Of Gas aufgenommen, das »Parolen des Nihilismus, der Verweigerung, der Auslöschung« (»Taz«) mit einem wuchtigen, ruppigen, trockenen Noiserock verknüpft. Das Magazin »In᠆tro« bezeichnete diese Sorte minimalistischen Sägewerk-Rock einmal als Musik »für depressive Schlauköpfe«.Das einst einflussreiche und anscheinend wiedervereinigte schottische Indie-Rock-Duo Arab Strap wird ab Mitternacht auf die Bühne gehen.

Und sonst? In von Musikbeispielen begleiteten Gesprächen werden Henryk Gericke und Roland Galenza, die in den 80ern selbst dem subkulturellen Musik-Underground der DDR angehörten, Blicke »auf Subkultur jenseits der Mauer(n) und dabei im Speziellen auf die Punk-Bewegung« in der DDR werfen. Eine kleine Ausstellung zeigt 80 Fotos aus dem Berlin der 80er Jahre, »rohe, unveröffentlichte Momentaufnahmen«, so die Veranstalter. Die Konzertfotos »bilden eine atemberaubende Dokumentation der Musik und (Off-)Szene dieser Zeit«. Gemacht hat sie einst der großartige Berliner Konzertfotograf Roland Owsnitzki. Darüber hinaus wird »Bunch of Kunst«, die wohl beste Musikdokumentation der letzten Jahre, zu sehen sein, ein Film, der das britische Duo Sleaford Mods porträtiert, das von der Filmemacherin Christine Franz über zwei Jahre hinweg mit der Kamera begleitet wurde.

Besucherinnen und Besucher des Festivals sollten sich allerdings schon mal an den von den Kuratorinnen und Kuratoren seit Jahren kultivierten, schmierigen FDP-Jargon gewöhnen: »›Pop-Kultur‹ versammelt wichtige Akteure der lokalen, nationalen und internationalen Musikindustrie und Kreativwirtschaft in einem zwanglosen und anregenden Rahmen und bringt sie miteinander ins Gespräch.« Wussten wir’s doch, dass es auch um den »Wirtschaftsstandort Berlin« geht, soll heißen: um Reklame für die tatsächlich Jahr für Jahr mehr ihren Reiz verlierende »Kulturmetropole« und ums Geldverdienen.

Alle Veranstaltungen zu finden unter: www.pop-kultur.berlin/programm/

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