Nach Monaten wieder ein Büro

Eine Linksparteiabgeordnete kehrt nach einer Serie von Übergriffen auf den Chemnitzer Sonnenberg zurück

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Schwelle ist etwas höher. Das Büro, das Susanne Schaper heute am Lessingplatz 6 im Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg eröffnet, ist kein Ladenlokal. Wer mit der Abgeordneten oder einem ihrer Mitarbeiter sprechen will, kann nicht einfach eine Tür öffnen und eintreten. Er muss statt dessen klingeln und zwei Türen passieren. »Ich hätte es gern etwas direkter gehabt«, sagt die Politikerin: »Aber wir mussten abwägen.«

Abwägen zwischen dem Wunsch, in dem traditionsreichen Arbeiterviertel wieder über linke Politik informieren zu können - und der Angst, dass es erneut losgeht. Dass wieder Steine in Schaufenster geworfen werden, Farbbeutel an der Fassade landen, Fäkalien und tote Tiere im Flur liegen. Dass der Vermieter die Reißleine zieht und die mühselige Suche nach einem Domizil erneut beginnt. So, wie die Abgeordnete der LINKEN im sächsischen Landtag das zuletzt zehn Monate lang betreiben musste.

Schaper war gewissermaßen eine Vertriebene. 17 Monate lang hatte sie im Sonnenberg ein Büro unterhalten. Eröffnet worden war es am 5. Mai 2015, dem Geburtstag von Karl Marx, wie Schaper betont. Die heute 39-jährige Krankenschwester hatte in dem Viertel bei der Landtagswahl im August 2014 ein gutes Ergebnis erzielt; zudem lebt im Sonnenberg eine reizvolle Mischung aus Alteingesessenen und Studenten.

Es gab allerdings auch das »Rechte Plenum«, eine Gruppe von gut einem Dutzend Nazi-Hipstern, die den Sonnenberg zum »Nazikiez« erklärt hatten. Bis die Truppe Anfang 2017 auf einem linken Internetportal bloßgestellt wurde, waren sie und ihre Unterstützer äußerst rege. In nicht ganz zwei Jahren wurden 74 rechtsextreme Straftaten im Viertel verzeichnet, darunter Schmierereien und Graffiti, aber auch handfestere Aktionen. Schapers Büro wurde 22-mal attackiert. Dann kam die Kündigung.

Dass eine demokratisch gewählte Abgeordnete aus ihrem Büro vertrieben wird, sorgte im Freistaat und darüber hinaus für Wirbel. Mindestens ebenso viel Aufsehen erregte freilich der Umstand, dass sie partout kein neues fand - in einem Viertel, in dem in vielen Läden ein Schild »Zu vermieten« hängt. »Es hagelte Absagen«, erzählt Schaper - spätestens, wenn klar war, dass es um ein linkes Abgeordnetenbüro geht. Anfang 2017 ging der Fall bundesweit durch die Medien. Danach hätten sich immerhin auch Vermieter bei ihr gemeldet, sagt die Politikerin. Bis sie tatsächlich wieder einen Mietvertrag in der Tasche hatte, vergingen trotzdem noch weitere acht Monate.

Jetzt also ist Susanne Schaper endlich zurück - auf 58 Quadratmeter und immerhin im Parterre. Zugleich gibt es eine Klingel und etwas Sicherheitsabstand zum Bürgersteig: »Das Risiko für meine Mitarbeiter wäre mir sonst zu groß«, sagt die Abgeordnete. Sie wolle versuchen, »die gleichen Angebote« zu unterbreiten wie bisher. Trotz aller Bedrohung sollen die Räume auch wieder für Veranstaltungen offen stehen. Für etwa 40 Leute wäre Platz.

Gleichzeitig wurden die Sicherheitsvorkehrungen erhöht: beim Schloss wie bei den Scheiben, die besser gegen Steinwürfe geschützt sind. Genauer ins Detail geht Schaper nicht. Kommende Woche werde »mein Beratungspolizist« noch einmal alles in Augenschein nehmen, sagt sie noch.

Dass sie unbedingt wieder in den Sonnenberg zurückkehren wollte, hat vielen Bewunderung und Respekt abgerungen, bei anderen aber Kopfschütteln geerntet: »Es gibt Leute, die mich für verrückt halten«, sagt Schaper. Sie fügt aber hinzu: »Ich habe mich entschieden, mich nicht vertreiben und mundtot machen zu lassen.« Also wird Eröffnung gefeiert: mit Grußworten des Landeschefs der Partei und eines Kollegen aus dem Bundestag, mit Essen und Musik. Ab Montag kann man bei der Abgeordneten wieder klingeln.

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