Murren unter Münchnern

Nach dem 2:0 des FC Bayern in Bremen mischen sich Misstöne unter den Jubel

  • Frank Hellmann, Bremen
  • Lesedauer: 4 Min.

Beim FC Bayern ist es beinahe üblich, dass die Protagonisten nach Spielschluss mit blanker Brust vom Platz kommen. Entweder haben sie das rote Jersey der mitreisenden Anhängerschaft überreicht oder die Bitte ihrer überforderten Gegenspieler erhört. Manche, wie Thiago, spannen in den Katakomben vor laufenden Kamera noch den gestählten Oberkörper. Andere, wie Arturo Vidal, zeigen ihre schaurigen Rundumtätowierungen. So ist das auch im Bremer Weserstadion gewesen, als die Münchner Stars mit dem 2:0 (0:0) beim SV Werder einen »wichtigen Sieg in einem schwierigen Spiel« eingefahren hatten, wie Trainer Carlo Ancelotti mit einem treuherzigen Augenaufschlag versicherte.

Seine Spieler hatten die Bremer so hartnäckig bespielt wie der Maestro sein Kaugummi bearbeitet: Irgendwann war der grüne Abwehrdeich durchweicht. Für den Sieg genügte ein meisterlicher Mittelstürmer: Erst vollendete Robert Lewandowski mit der Hacke (72.), dann vollstreckte der Pole mit einem Doppeltunnel (75.). Dass inmitten des Doppelpacks Thomas Müller eingewechselt wurde, hatte mit dem zweiten Saisonsieg eher weniger zu tun, dennoch war die Nicht-Berücksichtigung des bayrischen Urgesteins mal wieder ein Thema. »Ich weiß nicht genau, welche Qualitäten der Trainer sehen will. Meine sind scheinbar nicht hundertprozentig gefragt«, klagte Müller später beim Bayrischen Rundfunk. Ancelotti nannte lapidar »taktische Gründe« für den Verzicht auf den 27-Jährigen, der nicht das erste Mal seine zentrale Rolle an Thiago verlor. Eine pikante Personalie, die gewissen Sprengstoff birgt, wenn sich der Schleicher auch in dieser Saison in wichtigen Spielen nicht beweisen darf.

Mit seinem missmutigen Auftritt im Nachklapp war Müller nicht allein. Auch Manuel Neuer wirkte gar nicht zufrieden, dass das Geschehen im Grunde auch ohne seine Beteiligung ablief - obwohl er im Gegensatz zu Müller vom Trainer aufgestellt wurde. »Ein paar mehr Aktionen hätte ich mir gewünscht«, murrte der Bayern-Torwart, der unbefleckt als weißer Riese vom grünen Rasen kam. So hatte der Härtetest für den weltbesten Ballfänger nach seiner mehr als viermonatigen Abstinenz wegen seines im Champions-League-Viertelfinale bei Real Madrid erlittenen Fußbruchs nicht wirklich stattgefunden.

Nur mühsam konnte der Kapitän des FC Bayern und der Nationalmannschaft hernach eine gewisse Enttäuschung kaschieren, dass er gleich noch für die WM-Qualifikationsspiele gegen Tschechien am 1. September und gegen Norwegen am 4. September geschont wird. »Das war ja nicht unbedingt nur die Entscheidung von mir«, sagte der 31-Jährige. »Ich wäre schon gerne dabei gewesen.« Ancelotti hätte ihn gehen lassen: »Löw hat mit mir nicht gesprochen. Es wäre kein Problem gewesen, wenn er zur Nationalmannschaft gegangen wäre.« Zum Treffpunkt am Dienstag in Stuttgart erscheint das bereits beim Confed-Cup nominierte Trio mit Marc-André ter Stegen, Bernd Leno und Kevin Trapp, während Neuer sich im Grunde mit sich selbst beschäftigen muss. An der Säbener Straße sind die Übungspartner an den Fingern einer Hand abzuzählen, wie Neuer nach seinem 344. Bundesligaspiel berichtete: »Wir sind noch fünf Leute. Davon drei Torhüter.« Jeder kann sich ausmalen, was ihm das bringt: nicht wirklich viel.

Der Ehrgeiz des gebürtigen Gelsenkircheners, selbst beim Gaudikick um den Paulaner-Gedächtnispokal in Hintertupfingen das Heiligtum zu hüten - notfalls auch in Lederhosen - ist verbrieft. Es gibt zwar keinen Konflikt mit Bundestrainer Joachim Löw (»Wir haben telefoniert. Er wollte kein Risiko eingehen«), aber die an sich »logische Entscheidung« (Neuer) ist tief im Inneren für ihn eben doch unlogisch. Training ersetzt nicht den Wettkampf. Diese Regel gilt bei Torhütern noch sehr viel mehr als bei Feldspielern. »Spiele und Spielformen helfen am meisten«, erklärte Neuer, der in Bremen bisweilen wohl neidisch auf die Gegenseite blickte. Sein Kollege Jiri Pavlenka, ein Liganeuling, flog und faustete fast im Minutentakt, und auch wenn der tschechische Tormann nicht immer sicher wirkte, hatte er anschaulich die Neuer-These unterfüttert, dass viel Praxis unter der Latte den wahren Fortschritt bringt.

Immerhin: Nach der Länderspielpause geht es für die Bayern bei der TSG Hoffenheim weiter. Wenn Mats Hummels und Niklas Süle, vielleicht geschlaucht von den Länderspielen, am 9. September nicht wieder ganz so aufmerksam verteidigen, dann hat die Nummer eins der Nation das, was Parteien gerne im Bundestagswahlkampf versprechen: Vollbeschäftigung.

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