Gesundheitsfonds zahlt Strafzinsen

Verband der Ersatzkassen fordert Abschmelzung der Reserven auf Mindestmaß

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn EZB-Chef Mario Draghi Donnerstag in einer Woche erklären will, wie er mit den ganzen Anleihenkäufen und Niedrigzinsen weitermachen will, sollten auch die gesetzlich Krankenversicherten genau auf seine Worte hören. Denn die expansive Geldpolitik der Europäischen Zen-tralbank (EZB) hat auch Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. Allein in den ersten drei Quartalen 2016 hat der Gesundheitsfonds vier Millionen Euro an Zinsen für seine Guthaben zahlen müssen, schreibt der Verband der Ersatzkassen (vdek) in einer aktuellen Publikation. 2015 waren es noch 1,8 Millionen Euro, die so für die allgemeine Gesundheitsversorgung flöten gingen.

In den Gesundheitsfonds fließen seit seiner Einführung im Jahr 2009 alle Beiträge der gesetzlich Krankenversicherten ein. Hinzu kommt ein Zuschuss des Bundes für sogenannte versicherungsfremde Leistungen, der im vergangenen Jahr 14 Milliarden Euro betrug. Aus diesem Fonds erhalten die Krankenkassen eine einheitliche Grundpauschale pro Versichertem plus alters-, geschlechts- und risikoadjustierte Zu- und Abschläge zur Deckung ihrer standardisierten Leistungsausgaben. Sind in einer Krankenkasse etwa besonders viele Alte oder Kranke versichert, bekommt diese mehr Geld aus dem Fonds. Kommt die jeweilige Krankenkasse nicht mit den zugewiesenen Mitteln aus, kann sie Zusatzbeiträge von ihren Versicherten verlangen.

Der Gesundheitsfonds verwaltet enorme Finanzmittel. Vergangenes Jahr beliefen sich die Einahmen der Krankenversicherungen auf insgesamt über 224 Milliarden Euro. Dies ist viel Geld, das irgendwo angelegt werden muss. Jedoch dürfen die Versicherungen und der Fonds nicht einfach zocken. Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen Ende vergangenen Jahres dürfen die Reserven des Gesundheitsfonds auch nur für maximal 14 Tage angelegt werden.

Jetzt kommt die EZB mit ihrer Geldpolitik ins Spiel. Seit dem Ausbruch der Eurokrise flutet sie die Finanzmärkte mit billigem Geld. Banken können sich derzeit zinsfrei Geld bei ihr leihen. Dafür müssen diese seit Juni 2014 für ihre bei der EZB geparkten Guthaben Strafzinsen zahlen. Seit März vergangenen Jahres betragen diese 0,4 Prozent. Zudem kauft die EZB seit März 2015 in nie dagewesenem Umfang Anleihen auf. Zurzeit beträgt das Volumen 60 Milliarden Euro monatlich.

Die Folge ist, dass es derzeit zu viel überschüssiges Kapital auf den Finanzmärkten gibt, das nach einer profitablen Anlagemöglichkeit sucht. Und Großanleger, die ihr Geld kurzfristig sicher parken wollen, müssen dafür sogar etwas zahlen. »In Anbetracht der aktuellen Rahmenbedingungen sind Negativzinsen nicht vermeidbar«, schrieb die Bundesregierung deswegen in ihrer Antwort auf die Anfrage der Grünen. Jedoch sei die Höhe der Zinszahlungen mit Blick auf das Gesamtvolumen des Gesundheitsfonds zu relativieren. So standen im Jahr 2015 beispielsweise den Negativzinsen in Höhe von rund 1,8 Millionen Euro Gesamteinnahmen des Gesundheitsfonds in Höhe von 206 Milliarden Euro gegenüber.

Für den vdek ist der Umstand, dass der Gesundheitsfonds Strafzinsen zahlen muss, trotzdem ärgerlich. »Diese Beitragsgelder stehen nicht mehr für die medizinische Versorgung der Versicherten zur Verfügung«, schreibt der Verband. Er schielt deshalb auf die Liquiditätsreserve des Fonds, die wegen der guten konjunkturellen Lage derzeit sehr üppig ausfällt. »Der Gesundheitsfonds darf keine Sparkasse sein. Wir fordern deshalb die Abschmelzung der Rücklagen, die über die gesetzliche Mindestreserve hinausgehen«, sagt Michaela Gottfried, Pressesprecherin des vdek. Im Jahre 2015 etwa hätte laut ihrem Verband die Reserve von zehn Milliarden Euro auf sechs Milliarden Euro abgesenkt werden müssen.

So wären vier Milliarden Euro für die gesetzlichen Krankenversicherungen frei geworden, die sie für die Versorgung ihrer Versicherten auch gut gebrauchen können. Der Verband warnt nämlich, dass dieses Jahr die Ausgaben der Krankenkassen deren Einnahmen um 14,4 Milliarden Euro übertreffen. Dieser Fehlbetrag muss aufgrund gesetzlicher Regelungen von den Angestellte über Zusatzbeitragssätze aufgebracht werden. Die Unternehmen werden an diesen Kosten nicht beteiligt.

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