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»Wenn man etwas macht, muss man es konsequent machen«

Heiner Geißler war als CDU-Generalsekretär ein Scharfmacher gegen Linke - und rief im Alter zu Widerstand »gegen die Mächtigen« auf. Ein Nachruf

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Sich an Heiner Geißler zu erinnern, ist gar nicht so einfach. Der Sozialdemokrat Erhard Eppler nannte ihn einmal den »mit Abstand perfidesten Politiker in dieser Republik«. Legendär auch Willy Brandts kalkulierter Ausraster in einer Fernsehrunde mit Helmut Kohl, als er den damaligen CDU-Generalsekretär als »seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land« bezeichnete. Als Geißler, schon lange nicht mehr in dem Parteiamt, darauf angesprochen wurde, antwortete er, er habe als Generalsekretär »halt die Pfeile auf mich gezogen. Wenn man etwas macht, muss man es konsequent machen«.

Das ist der eine Geißler gewesen, der Beißer, der Kettenhund für die Medien, der Kläffer – und vielleicht hat der gebürtige Oberndorfer sogar dabei mitgewirkt, das parteipolitische Generalsekretärswesen in diese Richtung zu prägen. Jedenfalls das der Union. Die Scheuers und Taubers von heute haben jedenfalls immer versucht, die Spur mit lautem Gebell zu halten. Der Unterschied ist dennoch beträchtlich: Geißler kam von der katholischen Soziallehre her und drängte auf einen Kurs der Modernisierung, der Mitte.

Doch da ist noch der andere Geißler, der späte, der dazu aufrief, Widerstand »gegen die Mächtigen dieser Erde« zu leisten, der beim globalisierungskritischen Bündnis Attac mitmachte, der die Antiasyl-Rhetorik der Rechten in der Union geißelte und Angela Merkel in Schutz nahm. Der Tarifschlichter und Moderator im Konflikt um den Stuttgarter Bahnhofswahnsinn S21. Einer, der in Interviews zu Toleranz aufrief und einmal sagte: In der Politik gebe »es keine letzten Entscheidungen, sondern nur vorletzte«, weshalb immer und alle »jederzeit zur Diskussion stehen« müssen – und »persönliche Angriffe, Beleidigungen, Hetzkampagnen und willkürliche Verdächtigungen« endlich geächtet werden sollten. Ausgerechnet der Geißler. Also der frühe. Kritisiert vom späten.

Ex-Jesuit, Jurist, Gleitschirmflieger

Am Dienstag ist Heiner Geißler im Alter von 87 Jahren gestorben. Das politische Berlin reagierte mit den üblichen Würdigungen. Für die CDU war er »einer unserer Besten«. Und die SPD beklagte, »seine Stimme wird fehlen«. Man fragt sich, wie oft die Stimme von Heiner Geißler in den Regierungsparteien in den vergangenen Jahren wirklich vermisst wurde. Der Ex-Jesuit, Jurist und Gleitschirmflieger hat sich nach seiner aktiven parteipolitischen Karriere nicht nur »befreit vom Amt« geäußert – sondern bisweilen in eine völlig andere politische Richtung.

Dass ein ehemaliger CDU-Generalsekretär mit Blick auf Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften einmal sagen würde, »und wenn es ein Polizist ist, dann schlage ich zurück«, dass er in einer Fernsehsendung einmal den Satz »Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist nicht konsensfähig und zutiefst undemokratisch, es muss ersetzt werden durch eine neue Wirtschaftsordnung« sagen würde, war zu Beginn von Geißlers Laufbahn nicht gerade absehbar. Das hat auch etwas mit den Zeiten zu tun, in denen einer in der Politik nach oben kommt.

Geißer war 1977 Generalsekretär der CDU geworden, über der Bundesrepublik lastete damals bleischwer die Auseinandersetzung mit der RAF – und Geißler machte Stimmung gegen Linksliberale und Linke, die er als »Sympathisanten des Terrors« beschimpfte. Es kam die Zeit der Auseinandersetzung um die Stationierung von US-Raketen – und Geißler machte Stimmung gegen die SPD, die er als »fünfte Kolonne der anderen Seite« diffamierte.

Die Rede von 1983

Seine Rede von 1983, in der er im Streit um den NATO-Doppelbeschluss gegen die Kritiker der Aufrüstung im Kalten Krieg sagte, ein auch von ihnen getragener Pazifismus habe in der Geschichte »Auschwitz erst möglich gemacht«, bleibt in Erinnerung. Damals fragten Abgeordnete, ob ein Bundesminister hier ernsthaft meine, dass ihre Angehörigen, die selbst Pazifisten waren, als Opfer quasi an ihrer Vernichtung selbst schuld gewesen seien. Geißler wies das zurück, mit einem weiteren für Empörung sorgenden Argument, dem nämlich, die pazifistischen Strömungen in Frankreich und England hätten mit ihrer Appeasement-Politik gegenüber den Nazis den Holocaust ermöglicht. Infam, haben Auschwitz doch einzig und allein die Deutschen verbrochen.

Aber Geißler geriet auch mit Helmut Kohl in Konflikt, der maßgebliche Grund, warum er 1989 nicht zur Wiederwahl als Generalsekretär nominiert wurde. Es war der Startschuss zu einem misslungenen Versuch, den Langzeitkanzler von der Spitze der CDU zu verdrängen. Ein Versuch, der scheiterte. Und der für den politischen Wandel von dem einen zu dem anderen Geißler eine wichtige Rolle spielte.

Damals waren führende CDU-Politiker – unter ihnen Geißler – der Selbstherrlichkeit Kohls überdrüssig. »So kann es nicht weitergehen, dass er grad macht, was er will«, so hat es der damalige Generalsekretär im Rückblick einmal beschrieben. Der »Spiegel« frotzelte über die Fronde, an der auch Lothar Späth, Ernst Albrecht und Rita Süssmuth beteiligt waren, »das CDU-Volk hatte erst nicht glauben wollen, dass Spitzenleute den CDU-Chef stürzen wollten. Dann aber, als es nicht mehr zu verheimlichen war, sah die Partei nur Stümper am Werk.«

Er selbst hatte es anders in Erinnerung. Und als er das aussprach, redete schon der spätere Geißler – der Mann, der den kurzfristigen Rückzug der Kandidatur durch Späth damit erklärte, dass Späth »zur Deutschen Bank, ich will nicht sagen: zitiert worden« ist, »aber jedenfalls war er dort. Die Banker haben ihm gesagt: Kohl soll bleiben.« Und so sollte es dann ja auch noch eine Weile sein. Geißler selbst hatte für den Altkanzler später nicht mehr viel übrig. »Man muss ihm leider ein moralisches Defizit attestieren«, sagte er einmal. »Kohl ist nicht der Gescheiteste von allen gewesen und auch nicht der ethisch Einwandfreiste.« Sätze, die wiederum auch zu einem anderen Zitat von Geißler passen: »Die schlimmsten Gegner sitzen oft in der eigenen Partei.«

Geißler, der Anfang der 1980er Jahre Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit war, stand noch bis 1998 als Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag vor. Im Parteivorstand saß er sogar noch bis 2002. Als CDU-Mann ist er aber immer weniger wahrgenommen worden. Eher als Christdemokrat. Und später immer öfter als lebendes Beispiel dafür, dass Politiker, die einmal rechts der Mitte angefangen haben, manchmal ihren Lebensabend gern eher links davon verbringen.

Vor ein paar Jahren wurde Geißler in einem Interview gefragt, ob er seit einem Absturz mit dem Gleitschirm Anfang der 1990er Jahre öfter an den Tod gedacht habe. »Irgendwann kommt der Tod halt«, sagte der damals 85-Jährige. Nun ist es passiert.

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