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Ver.di warnt: Altenpflege wird zunehmend zum Spekulationsobjekt

Die Branche ist für Finanzinvestoren und Privatanleger ein Bombengeschäft / Fonds werben mit »attraktiven Renditen«

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di warnt davor, dass die Altenpflege zunehmend zum Spekulationsobjekt von Finanzinvestoren und Großkonzernen wird. »Die kommende Bundesregierung muss erklären, wie sie diese für pflegebedürftige Menschen und Beschäftigte gefährliche Entwicklung unterbindet«, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler am 7. September.

In der Tat ist die stationäre und ambulante Pflege für große Investoren, aber auch für Privatanleger, ein Bombengeschäft. Pflegefonds wie die cvm GmbH werben mit »attraktiven Renditen« auf einem »konjunkturunabhängigen Wachstumsmarkt« dank »staatlicher Refinanzierung«.

Der Anteil privatwirtschaftlicher Betriebe im Pflegebereich ist kontinuierlich gestiegen, auf 52,3 Prozent Ende 2015. Mit aggressiven Kostensenkungsmaßnahmen bieten private Betreiber ihre Leistungen oftmals billiger an und setzen damit öffentliche und freie gemeinnützige Träger unter Druck, da die Kostenträger der Pflege auf die »günstigsten« Angebote zurückgreifen. Um nicht vom Markt gedrängt zu werden, müssen dann auch diese Träger an der Kostenschraube drehen, also die Pflegequalität reduzieren und das Lohnniveau soweit wie möglich absenken. Gelingt ihnen das nicht, verschwinden sie vom Markt.

Der Konzentrations- und Verdrängungsprozess ist in vollem Gange, auch innerhalb des privaten Sektors. So wurden der ehemals städtische Pflegeheimbetreiber »Pflegen und Wohnen« in Hamburg und die Berliner Unternehmensgruppe Vitanas an den US-Hedgefonds Oaktree verkauft. Auch das Unternehmen Alloheim mit seinen 165 Einrichtungen und 14 500 Beschäftigten steht laut Medienberichten zum Verkauf. Die US-Beteiligungsgesellschaft Carlyle hatte die Pflegeheimkette erst 2013 vom britischen Konkurrenten Star Capital übernommen.

Zwar sind auch »normale« private Betreiber vor allem an auskömmlicher Rendite in ihren Pflegebetrieben interessiert, doch durch Finanzinvestoren und besonders durch Hedge-Fonds entsteht eine zusätzliche Dynamik. Dort dominieren meistens sehr kurzfristige Gewinninteressen, entsprechend rabiat sind die »Konsolidierungsmaßnahmen«, so ver.di-Sprecher Jan Jurczyk gegenüber »nd«. Generell sei die Branche bereits jetzt in starkem Maße von prekärer Beschäftigung, Lohndumping und der Leistungsreduzierung auf das gesetzliche Minimum geprägt. »Aber die Finanzinvestoren sehen offensichtlich noch genügend Potenzial, da noch mehr rauszuholen«, so Jurczyk.

Die schlechten Arbeitsbedingungen und die oftmals miserable Vergütung machen den Pflegeberuf unattraktiv. Das hat dramatische Folgen. Während der Bedarf an Pflegeleistungen stetig steigt, mangelt es zunehmend an Personal. Schon jetzt fehlen in der Altenpflege mindestens 30 000 Vollzeitkräfte, nach Untersuchungen des Berufsbildungswerkes könnten es 2035 bereits 270 000 sein

Ohne eine Aufwertung des Berufes wird das kaum zu verhindern sein. Und dazu gehört neben besseren Arbeitsbedingungen und sicheren, regulären Arbeitsverhältnissen vor allem die Entlohnung. Doch da herrscht derzeit Wildwuchs, wie Jurczyk ausführt. Für die Branche mit ihren rund 910 000 Beschäftigten gelten als Untergrenze Mindestlöhne von derzeit 10,20 Euro im Westen und 9,50 Euro im Osten. Examinierte Fachkräfte werden in der Regel besser vergütet, aber deutlich schlechter als in der Krankenpflege, was zu entsprechenden Wanderungsbewegungen führt.

Wer noch in einer kommunalen Einrichtung arbeitet, ist besser dran. So seht der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes in der Eingangsstufe für teilqualifizierte Pflegekräfte mit einjähriger Ausbildung 17,20 Euro pro Stunde vor. Doch die meisten in der Branche sind ohne Tarifbindung beschäftigt oder unterliegen Tarifverträgen die z.B. bei freien Wohlfahrtsverbänden oder kirchlichen Trägern auf niedrigerem Niveau liegen.

Von der künftigen Bundesregierung fordert ver.di vor allem eine bundesweit einheitliche Personalbemessung und die Ermöglichung allgemeinverbindlicher Tarifverträge für alle Einrichtungen. Altenpflege dürfe nicht zum Spekulationsobjekt auf Kosten der Pflegebedürftigen und der Beschäftigten verkommen, so Bühler. Zudem müsse die Altenpflege mit einer solidarischen Bürgerversicherung auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt werden.

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