Munition am Wanderweg

Militariasucher legten Weltkriegsstellung im Ostharz frei - und verschwanden heimlich

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Dies ist eine von jenen Geschichten, die man mit der Floskel »Nicht schlecht staunte ...« einleiten kann. Ein Harz-Spaziergänger informierte die Polizei, dass abseits seines Wanderweges Munition herumliege. Die Experten vom Technischen Polizeiamt Sachsen-Anhalt gingen von ein paar Patronen aus - und standen dann fast sprachlos vor einem 30-Meter-Quadrat, in dem es mehrere relativ frisch aufgegrabene Löcher gab. Dort lag jede Menge Infanteriemunition herum. Als man die gründliche Nachsuche beendete, hatte man 170 Kilogramm Kampfmittel eingesammelt. Neben Gewehrpatronen fand man eine Splittergranate mit 400 Gramm Sprengstoff.

Dort, wo Urlauber heute Erholung suchen, sollten im April 1945 zusammengewürfelte Wehrmachtseinheiten eine »Festung« errichten, um die US-Truppen aufzuhalten. Die Munitionsberger der Polizei gehen davon aus, dass Schatzsucher mit Metalldetektoren nach Devotionalien aus jener Zeit gesucht haben und auf eine alte Stellung mit dem explosiven »Schatz« gestoßen sind. Der Sprengstoff habe auch mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs »nichts an Brisanz verloren«, betont Axel Vösterling vom Technischen Polizeiamt am Freitag gegenüber »nd«. Bereits geringste Berührungen könnten im Umkreis von mehreren hundert Metern zu schwersten oder sogar tödlichen Verletzungen führen.

Derartige Funde gehören zum Alltag von Vösterling und seinen Kollegen. Auf einem Feld bei Burg fand man erst im Mai mehrere Tonnen Sprengstoff aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch dabei gab ein Spaziergänger den entscheidenden Tipp. Insgesamt grub man 63 deutsche und sowjetische Granaten sowie weitere Munitionsteile aus.

Neben Heeresmunition sind vor allem Fliegerbomben ein Problem. Zwischen Mai 1940 und Mai 1945 warfen die Alliierten über Deutschland rund 1,35 Millionen Tonnen Bomben ab. Experten gehen davon aus, dass bis zu 100 000 Blindgänger noch unentdeckt sind. In Sachsen-Anhalt gibt es Schwerpunkte, an denen gesucht werden muss. Dazu gehören Nordhausen, der Großraum Halle/Leuna bis zum Südraum Leipzig. Auch die Landeshauptstadt Magdeburg ist im Fokus. Dort gibt es Gefahren, wo sie niemand vermutet. So stieß man vor drei Jahren beim Abriss eines einst normal bewohnten Plattenbaus auf eine Fünf-Zentner-Bombe. Ähnliches erlebte man am Hauptbahnhof. Und an der Anna-Ebert-Brücke, die über die Alte Elbe führt, mussten jüngst 140 Kilogramm TNT aus Sprengkammern entfernt werden. Die hatten die Nazis in speziellen Kammern verstaut, um die Brücke beim Herannahen der der Alliierten in die Luft zu jagen.

Auch viele Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs werden deutschlandweit nahezu täglich explosive Relikte entdeckt: zentnerschwere Fliegerbomben, Minen, Panzerfäuste, Granaten und Patronen. Seit Anfang der 1990er Jahre - so eine Statistik - sind bundesweit über 150 000 Bomben und 70 000 Tonnen andere Kampfmittel beseitigt worden. Diese Gefahr wird in den nächsten Jahrzehnten akut bleiben.

Besonders für öffentliche wie private Bauherren ergeben sich daraus oft unkalkulierbare Risiken, wenn sie sich auf nicht oder nicht gründlich genug untersuchtes Gelände wagen. Vielfach kommt es zu zeitlichen Verzögerungen und somit zu zusätzlichen Kosten. Seit Mitte August 2017 gibt es daher erstmals sogar eine akademische Ausbildung für Kampfmittelräumung. Der achtwöchige postgraduale Studiengang »Fachplaner Kampfmittelräumung« findet in München statt und wird von der Bundeswehr-Universität sowie der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben getragen. Kooperationspartner sind die Deutsche Bahn und die Berufsgenossenschaft Bau.

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