Die unbestechliche Minderheit

Die pharmakritische Organisation MEZIS feierte ihr zehnjähriges Bestehen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein paar Medikamentenmuster hier, eine Weiterbildung in der Toskana da - es gibt viele Arten, wie Ärzte von der Pharmaindustrie umworben werden. Um sich dagegen zu wehren, gründeten Medizinier vor zehn Jahren MEZIS. Die Abkürzung steht für ihren Anspruch: »Mein Essen zahl ich selbst«. Auf den Punkt gebracht ist mit dem Motto die Entscheidung, sich nicht von der Industrie bestechen zu lassen - weder durch Kongresseinladungen, Familienurlaube, Fortbildungen mit festlichem Abendessen noch durch Medikamentenmuster. In Berlin feierten am Wochenende knapp 100 Ärzte das Jubiläum von MEZIS.

Da es sich zugleich um ein Treffen von sogenannten No-Free-Lunch-Gruppen aus aller Welt handelte, konnten alle Beteiligten in Workshops und Veranstaltungen mit Gewinn über den nationalen Tellerrand schauen. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Beeinflussungsversuche rund um die Welt in vielen Aspekten gleichen, ebenso die Ausrichtung der meist zahnlosen Gesetze dagegen. Die Auswirkungen und Konflikte in diesem Zusammenhang unterscheiden sich teilweise. So hat aus Sicht des Brasilianers Rogério Hoefler ein kaum umgesetztes Antikorruptionsgesetz für Ärzte in seiner Heimat noch einmal ernstere Folgen, weil sich die Bestechlichkeit durch die ganze Gesellschaft frisst - einschließlich des aktuellen Präsidenten Michel Temer.

Eine anderen Konflikt durchlebte eine Teilnehmerin aus Chile als Allgemeinmedizinerin auf dem Lande. Da in dem Andenstaat mehr als ein Drittel der Gesundheitsausgaben von den Patienten direkt bezahlt werden, erwarten ärmere Menschen auf den Dörfern, dass Ärzte ihnen Medikamentenmuster weiterreichen. Es sei aber keine Wohltätigkeit der Sponsoren, sondern ein Marketingkonzept. »Wenn meine Patienten erkennen, dass ihnen das Medikament Gutes tut, dann werden sie nur noch dieses kaufen wollen«, sagt die chilenische Ärztin. Dann seien sie für preiswerte Generika oder eine medizinisch begründete Therapieänderung nicht mehr erreichbar.

Die Selbstwahrnehmung der Ärzte, die kein Problem mit Geschenken der Industrie haben, weist verschiedene Facetten auf. In Lateinamerika und Indien, so Teilnehmer aus diesen Ländern, gehört die »Anerkennung« der Ärzte durch die Pharmahersteller einfach dazu; würden sie keine Einladungen und Präsente erhalten, wären sie einfach keine guten Mediziner, so auch die gesellschaftliche Wiederspiegelung des Vorgangs. Diese Verkennung der eigenen Abhängigkeit einschließlich der damit verbundenen Preisgabe von Patienteninteressen findet sich jedoch auch in der Bundesrepublik. Ärzte erheben sogar Ansprüche auf die materielle Alimentierung, sie stünde ihnen doch zu. Entsprechendes Standesbewusstsein entwickelt sich bereits an den Universitäten.

Was dagegen tun? In den USA wurde 2010 das »Physician Payments Sunshine Act« eingeführt, ein Gesetz, das Hersteller zur Offenlegung fast aller Zuwendungen an Ärzte verpflichten. Diese Transparenz sei nützlich, meint ein Teil der Ärzte, andere bemängeln, dass es noch zu viele Ausnahmen gebe. Transparenz sei auch nicht alles, so der renommierte australische Arzt Peter R. Mansfield, der sich seit vielen Jahren mit der irreführenden Beeinflussung von Berufskollegen durch die Industrie auseinandersetzt. Der Gründer der Organisation »Healthy Skepticism« ist der Überzeugung, dass derartige Veröffentlichungen allein das Verhalten der betroffenen Ärzte nicht beeinflusse.

Änderungen können nur an der Basis beginnen. Als Beispiel wurden am Wochenende die Berliner Neurologen genannt, die ihre Fortbildungen schon seit einigen Jahren selbst organisieren. Auch der Hausärzteverband versucht das erfolgreich. Die Diskussionsrunde zum Thema war sich relativ einig, dass auch mit geringerem Aufwand unabhängige Veranstaltungen vorbereitet werden könnten. Zum Beispiel könnten diese nicht in teueren Kongresszentren stattfinden, sondern in der Sommerpause in den Universitäten. Ein gutes Catering könne auch noch dazu einem guten Zweck dienen, wie bei der MEZIS-Tagung in Berlin. Dort wurden Flüchtlingsinitiativen für die Verpflegung engagiert.

Dabei gibt es jedoch auch rund um die ärztliche Fortbildung in der Bundesrepublik viele liebgewordene Gewohnheiten. Gegen diese anzugehen, so war man sich in einem Workshop am Wochenende einig, sei auch eine Frage von Tatkraft und Mut. Nicht jeder Arzt hat dafür nach langen Arbeitstagen noch Energiereserven und Ideen. Andererseits erhielten Vertreter von MEZIS auf großen Kongressen durchaus positive Reaktionen.

Ein weiterer Ansatz ist, Probleme wie Interessenkonflikte und Industrieeinfluss auf die Lehrpläne der Medizinstudierenden und an die Universitäten zu bringen. Auch für diese Aufgabe braucht MEZIS noch Unterstützung - bislang sind in dieser Organisation etwa 900 Ärzte aktiv, von etwa 380 000 approbierten Medizinern insgesamt hierzulande.

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