Baufirmen auf Kamikazekurs

Die Arbeitgeber lehnen höheren Mindestlohn für Facharbeiter ab, dabei könnte das gegen Dumpingkonkurrenz helfen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Verhandlungen über die Mindestlöhne im Bauhauptgewerbe wurden am Donnerstagmorgen nach einer 14-stündigen Sitzung der Tarifparteien in Berlin ergebnislos vertagt. Sie sollen am 17. Oktober fortgesetzt werden, teilte die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) mit. Die IG BAU fordert einen zweistufigen Mindestlohn, der 80 Prozent der im regulären Branchentarifvertrag vereinbarten Entgeltgruppen ausmachen soll. Facharbeiter würden dann pro Stunde mindestens 15,60 Euro statt bisher 14,70 Euro erhalten, ungelernte Arbeitskräfte 12,50 statt 11,30 Euro.

Bereits am Mittwoch zeichnete sich ab, dass die Arbeitgeberverbände der Bauindustrie und des Bauhandwerks vor allem die Mindestlöhne für Facharbeiter strikt ablehnen. Für Ostdeutschland sind sie derzeit ohnehin ausgesetzt, und nach den Vorstellungen der Unternehmen sollte dies künftig auch im Westen gelten.

Für den Verhandlungsführer und stellvertretenden IG BAU-Vorsitzenden Dietmar Schäfers ist das nicht nachvollziehbar. »Wenn die Arbeitgeber jetzt den Mindestlohn für Facharbeiter im Westen sogar abschaffen wollen, geht das zu Lasten aller ehrlich wirtschaftenden Betriebe. Das ist doch ein Kamikazekurs«, so Schäfers am Mittwoch vor Verhandlungsbeginn gegenüber »nd«. Wenn der Mindestlohn als Untergrenze ausfällt, »dann freut das doch nur die Auftraggeber, weil das die Preise drückt«. Schäfers hat deshalb manchmal den Eindruck, »dass sich die IG BAU mehr Gedanken über einen funktionierenden Wettbewerb und auch auskömmliche Renditen für die Betriebe macht, als die Bauunternehmen selbst«.

Das Bauhauptgewerbe mit seinen derzeit rund 770 000 Beschäftigten hat nach einer längeren Stagnationsphase einen regelrechten Boom zu verzeichnen. Die Branche sucht händeringend nach Fachkräften. Schäfers weiß von etlichen Unternehmen, die hohe Prämien für die Anwerbung neuer Mitarbeiter anbieten. Auf der anderen Seite sind die Unternehmen auch einer wachsenden Konkurrenz von Betrieben aus Ost-und Südosteuropa ausgesetzt, die auf dem lukrativen Baumarkt in Deutschland Fuß fassen wollen und dabei auf Kostenvorteile durch möglichst niedrige Lohnkosten setzen. »Jeder weiß, dass das derzeitige Bauvolumen ohne Hilfe aus dem osteuropäischen Ausland gar nicht zu bewältigen ist. Aber dann müssten doch auch die Arbeitgeber ein Interesse daran haben, das erreichte Lohnniveau einigermaßen zu schützen«, so Schäfers. Dabei hat der Mindestlohn nach wie vor eine große Bedeutung, besonders in Ostdeutschland. Dort sind über 50 Prozent der Beschäftigten durch diese Untergrenze vor extremem Lohndumping geschützt.

Die Unternehmerverbände begründen die Forderung nach der Abschaffung der zweiten Stufe des Baumindestlohns damit, dass dessen Einhaltung kaum kontrolliert werden könne. Doch das lässt Schäfers nicht gelten: »Wir haben denen gesagt: Gut, dann lasst uns tarifvertraglich bessere Kontrollmöglichkeiten für den Zoll vereinbaren, das ist nämlich möglich. Doch das wollen die auch nicht.«

In der Tat gibt es derzeit große Vollzugsdefizite bei der Überwachung, für die der Zoll zuständig ist. Schäfers fordert mindestens 6000 zusätzliche Mitarbeiter bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Er kann nicht verstehen, warum sich Finanzminister Wolfgang Schäuble dagegen »hartleibig weigert«. »Schwarzarbeit und die massiven Verstöße gegen geltende Mindestlöhne sind doch keine Kavaliersdelikte«, so Schäfers. Seine Gewerkschaft forderte am Donnerstag einen »Lohnsünden-Pranger«, womit ein öffentliches Register gemeint ist, in dem die Betriebe aufgelistet werden, die gegen den gesetzlichen oder Branchen-Mindestlohn verstoßen. »Wir müssen dahin kommen, dass Arbeitgeber, die nicht einmal das Mindeste in die Lohntüte packen, geächtet werden«, sagte der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger.

Die gute konjunkturelle Lage in der Bauwirtschaft bewertet die Gewerkschaft auch als Rückenwind für ihre eigenen Ziele. »Normalerweise müsste das Selbstbewusstsein der Bauleute, die in den harten Zeiten ja mächtig geknebelt wurden, wesentlich größer sein. Die können in der gegenwärtigen Situation doch fast verlangen, was sie wollen«, meint Schäfers. Keiner müsse sich mehr beim Lohn drücken lassen - »schon gar nicht unter den Branchenmindestlohn«, betont der Baugewerkschafter.

Durch das Scheitern der Verhandlungsrunde am Donnerstag wird die Zeit knapp, auch wenn sich die Tarifparteien am 17. Oktober einigen sollten. Das Prozedere, einem vereinbarten Mindestlohn Gesetzeskraft und damit Allgemeinverbindlichkeit zu verleihen, dauert in der Regel drei Monate, wobei angesichts der bevorstehenden Verhandlungen über die Bildung einer neuen Bundesregierung weitere Verzögerungen zu erwarten sind. Der bisherige Baumindestlohn läuft am 31. Dezember aus und hat keine Nachwirkungsfrist. Anschließend wäre dann auch am Bau der gesetzliche Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde die Untergrenze. Das aber, so Schäfers, wäre »absolut inakzeptabel«.

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