Verschweigen ist keine Option

Ein Rückblick auf eine geteilte Geschichte anlässlich des 24. Deutschen Philosophiekongresses in Berlin

  • H.-C. Rauh
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Sonntag wurde der 24. Deutsche Philosophiekongress mit einer international hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zum Thema »Bedrohtes Denken? Philosophie in aktuellen politischen Kontexten« in der Berliner Humboldt-Universität eröffnet. Die Debatte leitete der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Dominik Perler (Jg. 1965). Interessanter- und erstaunlicherweise sollte es am Montag (nach Redaktionsschluss) auch ein besonderes Forum zur Geschichte der »abgeschlossenen« Philosophie der DDR geben.

Nach der Katastrophe des deutschen Faschismus wurden in Westdeutschland Philosophiekongresse bereits ab 1947 wieder regelmäßig einberufen. An den ersten beteiligten sich noch Philosophen aus der sowjetischen Besatzungszone, so Ferdinand Linke aus Jena, Paul Menzer aus Halle und Günther Jacoby aus Greifswald. In der DDR wurden universitäre Philosophieinstitute erst 1951 neu gegründet, zunächst nur in Jena, Leipzig und Berlin. Ein Beitritt zur 1950 in der Bundesrepublik gegründeten »Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland« wurde von »oben« kategorisch ausgeschlossen. Nur ein Mal, während der kurzen »Tauwetter«-Periode nach Stalins Tod, kam es zur Teilnahme einer - bereits parteimarxistisch organisierten - Philosophengruppe aus der DDR an einem westdeutschen Philosophiekongress: 1954 in Stuttgart. Außerhalb der offiziellen Delegation nahmen wiederum und ebenfalls letztmalig die letzten »bürgerlichen« Philosophieprofessoren aus der DDR, Linke und Jacoby, teil. Sie hielten beide Hauptreferate - über die Unentbehrlichkeit wissenschaftlicher Haltung in der Philosophie und über subjektfreie Objektivität. Das war eindeutig an die Adresse ihrer DDR-Kollegen gerichtet, die »Parteilichkeit in der Philosophie« vertraten. Die anderen ostdeutschen Teilnehmer konnten sich in Stuttgart lediglich an den Diskussionen beteiligen, was besonders erfolgreich dem jungen Wolfgang Harich und Hermann Ley, dem späteren Begründer und Leiter Lehrstuhls für »Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaften« an der Humboldt-Universität, gelang.

Die sukzessive marxistisch-leninistisch formierte und wesentlich parteiorganisierte DDR-Philosophie startete erst 1965 eine eigene Kongressreihe, darunter obligatorische Jubiläumskongresse zu den Geburtstagen von Karl Marx (1968) und Wladimir I. Lenin (1970). Thematisch verblieben sie im Rahmen des parteiamtlichen Lehrbuches Marxismus-Leninismus. Das politisch orientierende Schlusswort hielt zumeist der Chefideologe der SED, Kurt Hager. Westdeutsche Philosophen nahmen an den DDR-Philosophiekongressen nicht teil; selbst linksorientierte, kritisch-marxistische Wissenschaftler galten den Wächtern über die »reine Lehre« als »revisionistisch«. Um den absurden Vorwurf zu untermauern, initiierte Manfred Buhr, Leiter des Zentralinstituts für Philosophie bei der Akademie der Wissenschaften der DDR, in den 1970er Jahren gar eine auf über hundert Bände anwachsende »Kritik-Reihe«. Ein 1988 in dieser Edition erschienener Band verkündete (bereits im Titel) eine »Philosophie für eine neue Welt«. Der Ausgang ist bekannt. Im November 1989 kam es zur Selbstauflösung der DDR-Philosophie, deren institutionelle Abwicklung nach 1990 folgte.

Die Frage, was von ihr bleibt, ist schwer zu beantworten. Die DDR-Philosophie gänzlich zu verschweigen, wie dies bis dato mehrheitlich westdeutsche Philosophen und Historiker taten und tun, ist keine Option. Im Unterschied zu jenen hat verdienstvollerweise das Philosophieinstitut unter Volker Gerhardt an der Humboldt-Universität in mehreren Vorlesungsreihen eine Bilanz des Marxismus gezogen.

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