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AfD-Sturm über Bayern

CSU und SPD sind im Freistaat die großen Verlierer der Bundestagswahl

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurz vor 18 Uhr ging über München am Wahlabend ein Regenschauer mit Blitz und Donner nieder, es wurde finster und so mancher Fußgänger durchnässt. Punkt 18 Uhr brach mit der Prognose zur Bundestagswahl auch parteipolitisch ein Sturm los, der den Freistaat veränderte. Die siegesgewohnte CSU fuhr mit 38,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 ein und erstarrte im Schock. Mit minus 10,5 Prozent hatte hier niemand gerechnet. Und die bayerische SPD legte mit dem katastrophalen Ergebnis von nur 15,3 Prozent (minus 4,7) einen weiteren Schritt auf ihrem Hartz-IV-Weg in die Bedeutungslosigkeit zurück. Die kleinen Parteien legten dagegen zu, die FDP als ewiges Stehaufmännchen erreichte 10,2 Prozent (plus 5,1), die Grünen 9,8 Prozent (plus 1,4). Auch die Linkspartei wächst in Bayern - um 2,3 Prozent auf immerhin 6,1 Prozent. Und dann ist natürlich noch die AfD, die mit einem bayerischen Wahlergebnis von 12,4 Prozent und damit einem Zuwachs von 8,1 Prozent die Parteienlandschaft aufmischt.

Sie habe eher zwei weinende und ein lachendes Auge, kommentierte die LINKE-Bundestagskandidatin Nicole Gohlke am Wahlabend das Ergebnis. Ihre Partei hatte sich im Eine-Welt-Haus an der Münchner Schwanthaler Straße versammelt und feierte dort ihren Zuwachs. Dafür das lachende Auge. »Großartig« nannte dann auch Klaus Ernst, auf Platz 1 der Bayernliste, das Ergebnis. Er hatte nur mit 5 Prozent gerechnet. Auch Ates Gürpinar, Landessprecher und Direktkandidat in München-Nord, kann das Wahlergebnis »kaum glauben« und hofft schon auf den Einzug in den Bayerischen Landtag im nächsten Jahr. Die weinenden Augen der Nicole Gohlke hingegen sind dem guten Abschneiden der AfD geschuldet, ein Ergebnis, das sie ebenso wie der Untergang der SPD »schockiert« hat. Das sei ein »deutlicher Rechtsruck in der Gesellschaft« gewesen, urteilt auch Klaus Ernst, dem das Abschneiden der Sozialdemokraten »in der Seele weh tut«. Aber: »Wenn man sich um Teile der Bevölkerung nicht kümmert, gehen die Menschen nach rechts.« Das Abschneiden der AfD, die auch in Bayern viele Stimmen der Arbeiter holte, drückt dann auch die Stimmung auf der Wahlparty.

Derweil erklärte die CSU, man müsse jetzt die »rechte Flanke schließen«. Der Schwesterpartei drohte CSU-Chef Horst Seehofer damit, die traditionelle Fraktionsgemeinschaft im Bundestag zur Debatte zu stellen, wenn sie sich Forderungen wie nach einer »Obergrenze« für Flüchtlinge verweigere. Bei den Gesprächen über eine Jamaika-Koalition mit den Grünen könnte so vor allem die CSU Probleme bereiten. »Im Moment kann ich mir noch nicht so recht die gemeinsame Basis mit den Grünen in diesen Dingen vorstellen«, erklärte der CSU-Spitzenkandidat und bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Unklar ist derzeit, ob Hermann wie vor der Wahl angekündigt von München nach Berlin wechseln wird. Zwar hat die CSU in Bayern wieder alle Direktmandate abgeräumt, Herrmann hat den Einzug in den Bundestag aber verpasst. Er kandidierte nicht direkt in einem Wahlkreis und kam wegen des schlechten Ergebnisses nicht über die Landesliste zum Zug. Ohne Mandat sei er als Bundesinnenminister zu sehr von Kanzlerin Merkel abhängig, heißt es.

Unklar auch, ob Horst Seehofer als Parteichef Konsequenzen aus dem Wahlergebnis ziehen wird. Es hat sich jedenfalls gezeigt, dass seine Anlehnung an AfD-Positionen und der doppelbödige Kurs gegenüber der Kanzlerin zwischen harscher Kritik in Sachen Flüchtlingspolitik und gleichzeitigem Kuschelkurs im Wahlkampf bei Wähler nicht ankam. Die wählten lieber gleich das rechte Original. »So eine Schaukelpolitik irritiert die Wähler«, kritisierte der frühere Parteichef Erwin Huber. Darüber müsse man jetzt im Parteivorstand reden.

Auch bei den bayerischen Sozialdemokraten ist es am Tag nach ihrem Wahldebakel noch unklar, ob es personelle Konsequenzen geben wird. Für das Wahlergebnis sei die gesamte Partei verantwortlich, meinte Bayerns SPD-Spitzenfrau, Natascha Kohnen. Sie hatte erst vor kurzem den unscheinbaren, aber mit Bezügen üppig versorgten langjährigen Landesparteichef Florian Pronold abgelöst. Wie ernst es für die bayerischen Sozialdemokraten steht, macht das Ergebnis in München deutlich. Bisher galt die Regel, dass die SPD auf dem Lande wenig Stimmen holt, die Städte aber den Sozialdemokraten gehören, allen voran die Landeshauptstadt. Aber auch hier hat die SPD klar verloren, zum Beispiel im Wahlkreis München Nord, dem einzigen mit einer Chance auf ein rotes Direktmandat. Ein »Katastrophenabend«, so der Kommentar von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

Die SPD muss sich nun überlegen, wie es weitergehen soll. Von Wahl zu Wahl geht es für die weißblauen Sozialdemokraten bergab. Findet die Partei nicht eine Notbremse, wird sie in Kürze von anderen als zweitstärkste Kraft in Bayern überholt werden. Die AfD ist nur noch 2,5 Prozent entfernt. Landeschefin Kohnen macht die Große Koalition in Berlin für die »tiefe Niederlage« verantwortlich. Dadurch sei die SPD für die Wähler nicht mehr sichtbar gewesen. Das soll sich nun ändern - in der Opposition, wie Kohnen bekräftigt. Die SPD dürfe sich nicht mehr auf Kompromisse einlassen, sondern müsse sich auf ihre Überzeugungen besinnen. Welche genau, das ließ sie freilich im Dunkeln.

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