Die Zeit wird zum härtesten Gegner

Die deutschen Handballerinnen sind noch nicht in WM-Form, zudem fehlt neun Wochen vor dem Heimturnier ein übertragender Fernsehsender

  • Christoph Stukenbrock, Oldenburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Michael Biegler hatte großen Redebedarf. Direkt nach dem völlig unerwarteten Rückschlag auf dem Weg zur Heim-WM scharte der Bundestrainer seine Spielerinnen um sich und hielt noch an Ort und Stelle eine kleine Krisensitzung ab. »Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen«, sagte Biegler nach dem glücklichen 26:26 zum Auftakt der EM-Qualifikation gegen normalerweise nur zweitklassige Litauerinnen mit ernstem Blick. Von der über weite Strecken ernüchternden Vorstellung seines Teams schien er selbst ein wenig überrascht. »Das System scheint fragiler zu sein, als wir manchmal denken. Es gibt jetzt viel zu tun. Und es ist wenig Zeit bis zur WM.«

Tatsächlich dürfte die Zeit zu Bieglers größtem Gegenspieler werden. Neun Wochen sind es noch bis zum WM-Auftakt am 1. Dezember gegen Kamerun, schon am Sonntag wartet in der Türkei die nächste wichtige Aufgabe in der EM-Quali. »Wir müssen uns in Sachen Einsatz und Engagement definitiv steigern«, sagte Biegler. Ein Sieg ist nach dem Ausrutscher von Oldenburg schon fast Pflicht.

Gegen Litauen lief lange Zeit überhaupt nichts zusammen. Ohne erfahrene Kräfte wie Torfrau Clara Woltering, Spielmacherin Kerstin Wohlbold oder Linkshänderin Isabell Klein, die keinen Platz im Kader hatten und hinter der Bank auf der Tribüne saßen, fehlte es an Spielstruktur und Fokussierung. Einzig der erst 19-jährigen Emily Bölk mit ihren sechs Treffern im zweiten Abschnitt war es zu verdanken, dass Deutschland trotz eines Sechs-Tore-Rückstands (17:23) überhaupt noch einen Punkt holte.

Doch nicht nur sportlich wird die WM-Vorfreude derzeit getrübt. Denn beim Höhepunkt im Dezember droht wie schon bei den Männern zu Beginn des Jahres ein TV-Blackout. Momentan deutet einiges darauf hin, dass das Turnier im Dezember nur im Online-Stream zu sehen sein könnte. Bislang ist noch kein Partner für die Live-Übertragungen gefunden.

»Es gibt es bisher noch kein Ergebnis«, sagte Mark Schober, Generalsekretär des Deutschen Handball-Bundes (DHB). »Wir glauben aber fest daran, dass wir im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen sein werden. Das ist unser großer Wunsch.« Er werde »bis zum letzten Tag dafür kämpfen, dass wir eine Lösung finden. Nur im allerletzten Fall wird es eine Streaminglösung geben.« Schon die Spiele der Männer-WM 2017 waren allein von einem DHB-Sponsor im Internet gezeigt worden.

Ein Leuchtturm ohne Strahlkraft gilt nicht nur bei den Verbandsvorderen als Schreckensszenario. »Es wäre desaströs für den Frauenhandball, wenn wir es nicht schaffen, eine WM im eigenen Land zu präsentieren«, sagte Torfrau Woltering. Das Problem: Der DHB hat bei den Verhandlungen zwischen dem katarischen Rechteinhaber beIn Sports und den TV-Sendern wenig Einfluss und tritt bei den Gesprächen lediglich als Vermittler auf. SID/nd

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