150 Jahre RAW-Gelände

Von der »Königliche Eisenbahnhauptwerkstatt« zum Club- und Kulturareal

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

»Hier stolpert man noch über Schienen«, sagt Sven Heinemann und deutet auf den Boden. Durch die rissigen Betonplatten schlängelt sich ein Gleis. Sein Ende scheint irgendwo im Nirgendwo zu liegen. Vielleicht dort hinten in dem alten Schuppen. Eine Bahn ist hier jedenfalls schon lange nicht mehr gefahren.

Heinemann, SPD-Abgeordneter und eingefleischter Friedrichshainer, ist dem industriellen Charme des RAW-Geländes mit seinen großen Freiflächen und den denkmalgeschützten Altbauten verfallen. »So ein besonderes historisches Gelände haben wir innerhalb des S-Bahnrings nicht noch einmal«, sagt er mit Blick auf die Größe, die Atmosphäre und die vielen Angebote auf dem rund 84 000 Quadratmeter großen Areal. Als die alten Preußen das Gelände an der Revaler Straße am 1. Oktober 1867 als »Königliche Eisenbahnhauptwerkstatt Berlin II« eröffneten, um hier Züge für die frühe Ostbahn in Richtung Königsberg zu reparieren, hätten sie es sich nicht träumen lassen: 150 Jahre später steht das in den 1920er Jahren zum Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) umgetaufte Gelände für ein boomendes Ausgehviertel mit Clubs für jeden Musikgeschmack, hippen Bars, einer Skatehalle und einem Freibad. Zu DDR-Zeiten schraubten hier noch 1200 Arbeiter an Eisenbahnen. 1967 erhielt das Werk den Beinamen Franz Stenzer, nach einem 1933 im KZ Dachau erschossenen KPD-Mitglied. 1994 legte die Deutsche Bahn das Werk still. Kurz danach siedelten sich die ersten künstlerischen und gastronomischen Initiativen an. Seit 20 Jahren ist das RAW-Gelände nun schon ein international bekannter soziokultureller Freiraum.

Damit es das auch in Zukunft so bleibt, kämpfen Menschen wie der Sozialdemokrat Heinemann für das RAW-Gelände. »Die Initiativen und Projekte auf dem Areal brauchen endlich Planungssicherheit«, sagt Heinemann. Am Samstag war er in den Club Crack Bellmer gekommen, um bei einer Gala das 150-jährige Jubiläum des RAW-Geländes zu feiern und den verschiedenen Projekten, die sich in der »Solidarischen Entwicklungsgemeinschaft RAW Kultur L« zusammengeschlossen haben, Mut zu machen.

Denn nach wie vor ist die Zukunft des Areals unsicher. Durch auslaufende Mietverträge sind mehrere Initiativen in den kommenden Jahren gefährdet. Der Großteil des Geländes gehört der privaten Kurth Gruppe. Die wollte eigentlich schon längst mit dem Bau von Wohnungen und Sportstudios auf dem Gelände begonnen haben, hätten sich die Initiativen nicht zusammen mit dem Bezirksamt gegen die Pläne gewehrt. Sie fürchten, verdrängt zu werden und eine städtebauliche Entwicklung, die auf die gewachsenen Strukturen im Kiez keine Rücksicht nimmt. Gespräche zwischen dem Bezirk, den Projektnutzern und dem Investor haben bislang zu keinem Erfolg geführt. Die Fronten sind verhärtet.

Doch es gibt neue Hoffnung: Ein zweigliedriges Dialogverfahren mit Fach- und Werkstattgesprächen soll in den kommenden Monaten ein für die Nutzer und den Eigentümer tragfähiges Entwicklungskonzept erarbeiten. Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) will in dem Dialogverfahren vermitteln. »Das RAW-Gelände und Berlin gehören zusammen. Wir haben hier von unten gewachsene Strukturen, die es zu erhalten gilt«, sagt Schmidt. Er ist durchaus zuversichtlich. Durch den Ansatz, den Dialog vor Ort mit dem städtebaulichen Gesamtkonzept zu verbinden, sei es möglich, einen Konsens zu finden. Die Kurth Gruppe zeige sich auch kooperativ. »Es muss in Berlin weiterhin Platz für soziokulturelle Projekte geben. Die Stadtentwicklung kann sich nicht alleinig um wohnen, wohnen und noch mehr wohnen drehen«, meint Schmidt.

Er sagt aber auch: Sollte das Dialogverfahren scheitern, drohe das Projekt RAW-Gelände als Ganzes auseinanderzufallen. Mike Stolz, Mitarbeiter in der Bar »Zum schmutzigen Hobby« auf dem RAW-Gelände, kann dem nur zustimmen. »Wir setzen alles Vertrauen in das Dialogverfahren. Das RAW-Gelände muss im Sinne des Kiezes erhalten werden«, sagt Stolz. Durch das neue Verfahren könne ein Dialog auf Augenhöhe mit dem Investor geführt werden. »Ich glaube, dass es möglich ist, zusammen mit dem Eigentümer eine gemeinsame Vision für das Areal zu entwickeln«, sagt Stolz.

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