Vor dem Gesetz

Das Theater RambaZamba startet mit »Die Räuber« von Friedrich Schiller in die Spielzeit

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Franz Moor schwimmt, vorerst noch oben. In einem Bassin auf der Bühne, einem Swimmingpool nicht unähnlich, in dessen Mitte sich ein großer plumper Pferdeleib erhebt, so einer, wie ihn uns der einstige Bahn-Chef Mehdorn als Kunst am Bau vor jedem neuen Bahnhof hinterließ. Für ihn wohl der Gipfel der Kunst - und damit steht er in bester Tradition Kaiser Wilhelms, dem bekanntlich nichts über einen naturgetreuen Pferdearsch ging. Das schlimmste sind immer die Launen von Leuten, die einen Augenblick zu lange Macht hatten - mit Folgen über ihr schnelles Vergessenwerden hinaus.

So ein unseliger Machtbold ist auch Franz Moor, der eifersüchtige, der immer seinen Vorteil kalkuliert. Der nichts zu geben hat und darum umso gieriger nimmt. Sein Bruder Karl wird geliebt von allen, er nicht. Was liegt da für ihn näher, als sich dieses hell strahlenden Bruders zu entledigen? Dann wäre doch auch für ihn wieder Liebe da, vom Vater und auch von Amalia, die jetzt nur Augen für Karl hat. Das ist die Logik des Gewöhnlichen, das alles Ungewöhnliche hasst.

Pascal Kunze aus dem RambaZamba-Ensemble also schwimmt als Franz Moor in einem Neoprenanzug im Wasser, wie ein Stück Treibgut, das die Zuschauer, die über die Bühne zu ihren Plätzen gehen, erst gar nicht bemerken. Aber sie werden noch reichlich Gelegenheit haben, ihn kennenzulernen!

Jacob Höhne hat sich diese jugendlich-hemmungslosen »Räuber« ausgesucht für den Beginn seiner Intendanz. Wenn das kein Zeichen ist! Kunzes Franz Moor ist vieles: halb verhinderter Schlagerstar, halb selbstgefällig charmant vor sich hin monologisierend. Mit seiner blitzschnellen Eloquenz sticht Kunze gefährlich aus dem Ensemble heraus. Sein Gegenspieler Jonas Sippel als Karl und die Räuberbande dagegen haben ihr Down-Syndrom in aller geradlinig-langsamen Redlichkeit zu tragen. Gegen diesen rasant monologisierenden Demagogen haben sie keine Chance. Jedenfalls nicht im ersten Moment, nicht in den gängigen, den herrschenden Mustern.

Jacob Höhnes Regie setzt eine gute Tradition des RambaZamba-Theaters mit seinen - geistig oder auch körperlich auf unterschiedlichste Weise - behinderten Schauspielern fort: Er macht kein Behindertentheater. Maßstäbe sind das Stück, der Text, die Kunst. Da sind sie sich hier alle einig; es gilt, die eigenen Handicaps in einen Vorzug verwandeln. Das ist mühsam, aber lohnt immer.

Es ist ein Clash der Welten, der hier inszeniert wird. Die rational optimierte Welt in Gestalt von Franz Moor, die eine besondere Art von Verrücktheit züchtet, trifft auf die irrationalen Elemente (das Leben, die Gefühle!), jene ewigen Störenfriede, die man weder kaufen, noch mit Gewalt zu etwas zwingen kann. Franz also hat per Intrige - fingierten Briefen - seinen Bruder Karl beim regierenden Grafen von Moor in Misskredit gebracht, er wird enterbt. Karl, der hochgestimmte Stürmer und Dränger, stürzt mitsamt der erlittenen Kränkung grimmig in den Untergrund, erweckt den Terroristen in sich. Raub und Mord braucht diese verlogenen Welt, die es wert ist, zerstört zu werden!

Die Unbedingtheit, die ihn eben noch auszeichnete, wird nun maßlos, verbrecherisch. Höhnes Regie erklärt sich selbst wie folgt: »Die Räuber frönen der Wollust, der Völlerei, der Langsamkeit und Ineffizienz. Sie sind die Zuspitzung des Punks und des Nonkonformismus. Um frei zu sein und eine Gesellschaft nach ihren Maßstäben zu kreieren, gehen sie über Leichen.« Da wird, was als Bruderzwist begann, zum weltgeschichtlichen Verhängnis.

Schillers Radikalität verblüfft noch immer. Er wollte, wie er in der Vorrede zum Stück sagt, »die Seele gleichsam bei ihren verstohlenen Operationen ertappen«. Und am Anfang ist es auch ein hinreißend großer, ein revolutionärer Wurf des Karl Moor, wenn er - ein Buch, das er liest, beiseitelegend - ausruft, ihn ekle vor »diesem tintenklecksenden Säkulum«. Auf zur Tat, gegen die abgeschmackte Konvention, immer der eigenen Natur nach! Klingt gut, klingt weltumstürzend.

Zumal, wenn der aasige Franz Moor, Repräsentant des Establishments, nun seinem Pool entsteigt wie eine an Land gehende Amphibie und dekretiert: »Schwimme, wer schwimmen kann, und wer zu plump ist, gehe unter.« Das ist neoliberal-zynisch gesprochen, wie die bürgerliche Wirklichkeit nun mal ist, die wir seit der Zeit mit uns tragen, da Schiller seine »Räuber« losschickte. Es sind immer die traumlosen Richtigkeiten, die Seelen morden.

Aber wie ist das nun mit den Alternativen? Höhnes Regie scheint nicht illusionslos. Zwar ist die Räuberbande des Karl Moor eine Ansammlung hirnloser Landsknechte, die abwechselnd die Zeit und Menschen totschlagen. Gehört er denn zu denen? Das glaubt er lange nicht, sein Dabeisein ist doch ein Protest gegen das ihm zugefügte Unrecht!

Die Inszenierung schneidet Oberfläche und Untergrund scharf gegeneinander. Zu scharf? Die mäandrierenden Reden von Franz Moor auf der einen Seite, die per Video eingespielten Rotlicht-Orgien der Bande auf der anderen. Spiegelberg (immer ein Ereignis an Ausdruckskraft: Zora Schemm) verkörpert die Vernichtungslogik der Räuber, zu denen Karl, insofern er sein Ideal hochhält (nur die Reichen gilt es zu strafen!), nicht gehört. Aber der »edle Räuber«, das ist für Schiller am Ende eben doch purer Selbstbetrug. Die zwei Welten so übergangslos gegeneinander zu stellen wie hier, das ist konsequent gedacht, hat aber zur Folge, dass sich die Inszenierung sichtlich mühen muss, zu einem Ganzen zu werden, einen Rhythmus zu finden.

Hinzu tritt ein drittes Element: der Chor, einstudiert vom legendären Bernd Freytag, der schon mit Einar Schleef zusammenarbeitete. Dieser herrlich sprechende Chor mehr oder weniger älterer Damen (mit Almut Zilcher und Gisela Höhne) ist hier die Vaterstimme. Ebenso vielstimmig wie unentschlossen kann sie dem Unheil jedoch nicht Einhalt gebieten.

Schiller, ein Mann, der den Exzess nicht scheut, glaubt jedoch nicht an ihn. Das entspricht seiner Lebenssituation zur »Räuber«-Zeit. Lange ist für ihn Karl ein Sympathieträger, aber dann forciert er die Entscheidung. Denn irgendwann endet die Natur und der Mann muss hervortreten. Die Gesetzlosigkeit selbst drängt zum Gesetz! Das ist die Forderung, der Karl auf eine Weise entspricht, die immer noch schockiert. Er schafft Klarheit. Denn da ist die geliebte Amalia (Juliana Götze als Inbegriff romantischer Hingabe), die Franz’ Verleumdungen kein Wort geglaubt hatte.

Doch mit den Worten »Der Witz der Verzweiflung überflügelt den Schneckengang der Weisheit« ersticht Karl unter dem Beifall der Räuber nun Amalia. Ohne Grund, nur um sich selbst endgültig ins Unrecht zu setzen. Ach, diese Idealisten sind in ihrer Enttäuschung für ihre Mitmenschen eine tödliche Bedrohung. Karl ist zum Untier geworden, wie er weiß: »Ich habe einen Engel geschlachtet.«

Diese Einsicht enthält uns Höhnes Regie allerdings vor. Bei Schiller übergibt sich Karl, der nun auch in seinen eigenen Augen ein Mörder und mehr nicht ist, dem Gesetz. Ist dieses eine bloße Konzession Schillers an die Zensur? Jene, die bei der Uraufführung 1782 in Mannheim nach zeitgenössischen Berichten vor Begeisterung völlig außer sich gerieten (das Theater habe einem Irrenhaus geglichen, heißt es), wollten es glauben. Jacob Höhne offenbar auch - keinesfalls will er die Revolte preisgeben.

Doch Schiller, so jung er ist, geht über den Umweg des gesetzlosen Exzesses und die seelische Maßlosigkeit, sehr bewusst zurück zu Maß und Gesetz. Die müssen für ihn neu erstehen, sonst zeugt sich die Zerstörung fort. Ein strenger Geist, für den die Revolte nicht Endzweck sein kann.

Nächste Vorstellung: 6. Oktober

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