Konservativ und antirassistisch

In Bayern gründete sich mit »Matteo« ein Netzwerk zur Verteidigung von Kirchenasyl und Flüchtlingsschutz

  • Johannes Hartl
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Umgang mit Flüchtlingen gibt Bayern ein Bild ab, das widersprüchlicher kaum sein könnte. Auf der einen Seite engagieren sich tausende Menschen für die Belange von Asylsuchenden, binden diese ins Gemeindeleben ein und leisten ganz praktische Integrationsarbeit. Sie packen an und gestalten ohne großes Aufheben, wo andere klagen. Unter ihnen sind viele Menschen, die konservativ veranlagt sind, auch CSU-Wähler. Es ist dieses Engagement, das manche kirchlichen Gemeinden in Bayern regelrecht belebt und dort ein neues Gemeinschaftsgefühl gestiftet hat.

Andererseits verfolgt die Staatsregierung seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise eine gnadenlose Asylpolitik, die Abschiebungen um jeden Preis durchsetzen will - ungeachtet aller Kritik. Selbst eine traditionsreiche Institution wie das Kirchenasyl scheint inzwischen zur Disposition zu stehen, nachdem es jahrelang zumindest akzeptiert war. Immer wieder haben in den letzten Monaten Meldungen für Aufsehen gesorgt, dass lokale Staatsanwaltschaften gegen Geistliche oder Kirchenvorstände ermitteln. Der Vorwurf war jeweils derselbe: Beihilfe zum illegalen Aufenthalt, einfach weil sie Kirchenasyl gewährt hatten.

Zuletzt wurde eine dreistufige Vorgehensweise bekannt, wie sich Staatsanwälte in derartigen Fällen verhalten sollen. Die Ermittlungen sollten demnach eingestellt werden, wenn es sich um den ersten Fall von Kirchenasyl handelte. Im Wiederholungsfall droht den Beteiligten dann jedoch eine Geldbuße oder als dritter Schritt ein Strafbefehl. Für die meisten Betroffenen war das eine klare Botschaft, die sie als Einschüchterungsversuch sowie als Kriminalisierung ihrer Arbeit erleben - zumal das Vorgehen ein Spezifikum ausschließlich in Bayern ist. Die Beziehungen zwischen den Kirchen und der CSU-geführten Staatsregierung sind seitdem angespannt.

Als Reaktion hat sich nun in Nürnberg der Verein »Matteo - Kirche und Asyl« gegründet, ein Zusammenschluss engagierter Asylhelfer mit kirchlichen Wurzeln. Sein Vorsitzender ist Stephan Theo Reichel, ehemals Kirchenasyl-Koordinator der Evangelischen Landeskirche. Aus Protest gegen die Ermittlungsverfahren hat Reichel sein Amt im Juli 2017 niedergelegt. Die Notwendigkeit eines eigenen Vereins begründet er mit dem Widerspruch, der zwischen dem Engagement in den Gemeinden und der harten Linie der Regierung bestehe. »Die vielen engagierten Menschen in Bayern waren bislang tätig, ohne eine Vertretung zu haben«, beschreibt Reichel die aktuelle Situation. »Das lief in der Vergangenheit hauptsächlich auf Ebene der Dekanate, aber es mangelte bedauerlicherweise an einer guten Vernetzung und an einer öffentlichen Stimme.«

»Matteo« will genau das sein: Eine lautstarke Interessensvertretung, die sich einmischt und für Flüchtlinge einsetzt, die erklärt und für die Bedeutung des Kirchenasyls wirbt. Die Vernetzung zwischen den Engagierten soll dabei künftig eine maßgebliche Rolle spielen, sagt Reichel im Gespräch mit dem »nd«. Durch regelmäßigen Austausch wolle man gegenseitig von Erfahrungen profitieren sowie von erfolgreichen Protestaktionen lernen. Für diese Arbeit könne man auf ein weitverzweigtes Netzwerk zurückgreifen, das die einzelnen Mitglieder beisteuern. Zudem habe der Verein gegenüber der Kirche den Vorteil, sich deutlicher in die laufende Debatte einmischen zu können. »Als unabhängige Organisation können wir aus christlicher Sicht auch zu politischen Themen Stellung nehmen«, sagt Reichel. Langfristig sollen damit aus der Hilfe für einzelne Menschen in Not allgemeine politische Forderungen abgeleitet werden, um die Situation der Betroffenen insgesamt zu verbessern.

Mit diesen politischen Zielsetzungen befindet sich der Verein in direkter Opposition zur Staatsregierung, die sich ebenfalls auf ein christliches Menschenbild beruft. Deren Haltung in der Asylpolitik lehnen die Mitglieder rundum ab, darunter insbesondere die forcierten Abschiebungen nach Afghanistan oder in desolate EU-Länder wie Bulgarien. Konflikte mit der CSU dürften also programmiert sein. Reichel schreckt das nicht ab. Nach seiner Einschätzung vergraulen die Christsozialen mit ihrer Haltung in der Asylpolitik diejenigen Wähler, die eine moderate Sicht auf das Thema haben. Damit spielt er auf jene Menschen an, die die CSU bei der Bundestagswahl statt an die AfD an andere demokratische Parteien verloren hat. Bei ihnen handele es sich teilweise um wertkonservative Menschen, die das harte Vorgehen nicht akzeptieren, glaubt Reichel - also um genau die Zielgruppe, die »Matteo« erreichen möchte.

»Die CSU bekommt Probleme mit ihrer Kernwählerschaft«, sagt deren Vorstand. »Da können wir als Organisation ansetzen und mit unserem Einfluss auf politische Veränderungen drängen. Denn die rechte Flanke zu schließen bedeutet nicht, populistische und rassistische Dinge in wertkonservative Themen einfließen zu lassen.« Ob das gelingt, wird sich vermutlich erst auf längere Sicht zeigen. Unstrittig ist aber, dass eine Nachfrage nach einem solchen Angebot zu bestehen scheint. Bereits am Gründungstag haben sich rund 120 Menschen aus verschiedenen Teilen Bayerns der Organisation angeschlossen, darunter zehn Flüchtlinge.

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