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»Die Antifa hat provoziert«

Ein Gespräch mit Kathrin Grün von der Frankfurter Buchmesse über Rechte, Linke und Meinungsfreiheit

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wurden Pressevertreter und Messebesucher angegriffen. Es gab Pöbeleien von Neofaschisten, und ein Verleger wurde mit Faustschlägen traktiert. Auch ein Frankfurter Politiker wurde körperlich angegriffen. Wie konnte es Ihrer Ansicht nach dazu kommen?
Es gab im Vorfeld der Buchmesse umfangreiche Berichterstattung über den Auftritt der rechten Verlage auf der Messe. Es ging in die Richtung, dass es skandalös sei, dass die Buchmesse Verlage mit derartiger Gesinnung als Aussteller zulässt. Diese Art der Berichterstattung erzeugt großes Interesse. Da war die Stimmung schon vorher aufgeheizt. Ich möchte noch richtig stellen, dass der Frankfurter Politiker nicht angegriffen wurde, sondern dass der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes eingeschritten ist.

Hätte die Buchmesseleitung nicht wissen müssen, dass es zur Strategie dieser Neuen Rechten gehört, auf diese Form von Provokation zu setzen? Man hat ja den Stand der Amadeu-Antonio-Stiftung gegenüber diesem rechtsradikalen Verlag platziert. Was war dabei die Idee?
Die Amadeu-Antonio-Stiftung war im vergangenen Jahr im Umfeld der »Jungen Freiheit« positioniert, und wir hatten dazu positives Feedback bekommen, auch von der Stiftung selber, die gemerkt hat, dass sie mit Leuten, die eigentlich zur »Jungen Freiheit« wollen, sprechen können und dass sie die anders informieren können.

Zur Person
Kathrin Grün hat Amerikanistik, Neuere Deutsche Literatur und Komparatistik in Bonn und Mississippi (USA) studiert. Seit Februar dieses Jahres leitet sie die Kommunikationsabteilung der Frankfurter Buchmesse. Über die Umtriebe der sogenannten Neuen Rechten auf der jüngsten Messe und den Umgang damit sprach mit ihr Thomas Blum.

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Kommen wir zum Statement der Buchmesse nach den Ereignissen: Da ist etwa von einer »Vielfalt der Meinungen« die Rede, wodurch der Eindruck erweckt wird, bei der Propaganda von Neonazis handele es sich um eine Meinung wie andere auch. Was sagen Sie dazu?
Der Antaios-Verlag publiziert Bücher und Schriften, die strafrechtlich oder jugendschutzrechtlich nicht verboten sind. Solche Verlage können - wie alle anderen auch - auf der Frankfurter Buchmesse ausstellen. Strafgerichte und Staatsanwaltschaften und nicht die Buchmesse sind die Instanzen, die Bücher wegen ihrer Inhalte verbieten können. Würde die Buchmesse rechtlich zulässige Publikationen nicht ausstellen lassen, käme das einer Zensur gleich. Es kommt der Buchmesse als Veranstalter nicht zu, Urteile zu fällen wie: »Dieser Verlag passt nicht zu unserer liberalen, demokratischen Gesinnung, also darf er nicht teilnehmen.« Wenn aber Schriften volksverhetzend sind, dann darf der Verlag sie auch nicht bei uns ausstellen.

Heißt das, dass im nächsten Jahr mit solchen Verlagen ähnlich umgegangen werden soll wie in diesem Jahr?
Wir werden uns mit den Vorfällen auseinandersetzen, sie sehr gezielt analysieren und die gebotenen Konsequenzen daraus ziehen. Was für uns nicht verhandelbar bleibt, ist, dass die Frankfurter Buchmesse für Meinungsfreiheit steht - Veröffentlichungen, die nicht verboten sind, müssen auf der Buchmesse ihren Platz haben, auch wenn sie uns selbst oder Messebesuchern nicht gefallen.

In den Statements der Buchmesseleitung ist die Rede von »tätlichen Übergriffen zwischen linken und rechten Gruppierungen«. Wenn Neofaschisten rassistische Propaganda betreiben, wie das geschehen ist, und ein Verleger, der verbal dagegen interveniert hat, blutig geschlagen wird, wie kann man da von »tätlichen Übergriffen zwischen linken und rechten Gruppierungen« sprechen?
Unser Statement bezog sich auf die Veranstaltung mit Björn Höcke. Da waren Gruppierungen, z. B. die Antifa, die diese Veranstaltung gestört haben, sie haben geschrien und verbal provoziert. Im Polizeibericht ist die Rede von »einzelnen Handgreiflichkeiten« und »Tumulten« zwischen den beiden Lagern. Was den tätlichen Vorfall angeht, auf den Sie sich beziehen: Wir verurteilen diese gewalttätige körperliche Aktion aufs Schärfste.

Glauben Sie, es ist hilfreich zur Analyse der Vorkommnisse, wenn man sagt, dass die Umtriebe der Neuen Rechten gleichermaßen gefährlich und verurteilenswert sind wie das antifaschistische Engagement dagegen? Das Statement der Buchmesseleitung klingt zumindest so.
Lassen Sie mich das neutral formulieren: Ein Aussteller der Frankfurter Buchmesse bucht eine Bühne, um eine Veranstaltung durchzuführen. Der Verlag ist dann für diese Veranstaltung selbst verantwortlich. Aber als Veranstalter der Buchmesse haben wir die Aufgabe, sicherzustellen, dass diese Veranstaltung stattfinden kann. In dem Fall und weil wir natürlich wussten, wie diese Veranstaltung besetzt sein würde und das sie besonderes Konfliktpotenzial hat, hatten wir sehr viele Sicherheitskräfte und Polizei im Einsatz. Das würden wir genau so machen, wenn Ihr Verlag bei uns eine Veranstaltung machen und dabei Thesen formulieren würde, die am anderen Rand des politischen Spektrums als Provokationen aufgefasst würden.

Die extrem rechte Veranstaltung mit Björn Höcke und anderen fand in Halle 4.2 auf dem Forum »Wissenschaft und Bildung« statt, einer offiziellen Buchmessen-Bühne. Wie konnte es dazu kommen?
Diese Bühne wird inhaltlich nicht von uns kuratiert, sondern sie steht den Verlagen zur Verfügung. Die Verleger können 30-minütige Slots auf dieser Bühne buchen. Wir haben im Vorfeld überlegt, ob man das von vornherein verbieten sollte. Aber wir blieben bei der Haltung, dass ein Aussteller der Frankfurter Buchmesse auch eine Veranstaltung auf der Messe abhalten kann. Ich möchte nur richtig stellen: Wir haben diese Verlage nicht eingeladen, wir haben sie zähneknirschend zugelassen.

Ein Kollege von mir hat auf Facebook geschrieben, er verstehe nicht, warum die »zukünftigen Bücherverbrenner« an einem Ort wie der Buchmesse ihre »frohe Botschaft verbreiten« können.
Ich möchte Ihrem Kollegen seine Meinung nicht nehmen, wenn er bestimmte Verlage und ihre Leser als die nächste Generation von »Bücherverbrennern« bezeichnet. Aber diese Form von Zuschreibungen bedient meiner Meinung nach nur die Skandalisierung und befeuert wechselseitige Eskalationsroutinen.

An Skandalisierung habe ich kein Interesse. Ich war nur sehr irritiert von den Statements der Buchmesseleitung. Etwa davon, dass Vertreter der Neuen Rechten offenbar ganz selbstverständlich zur »Vielfalt der Meinungen« gezählt werden.
Die Frankfurter Buchmesse bildet die Gesellschaft Jahr für Jahr so ab, wie sie sich nun mal darstellt. Es scheint mir, dass Leute die Buchmesse als politikfernen Ort wahrnehmen wollen, wo nur das Gute, Wahre und Schöne zugelassen ist. Das ist leider nicht der Fall. Es gibt auch Verleger und Programme mit sehr problematischen Inhalten. Solange Bücher aber nicht strafrechtliche Grenzen überschreiten, muss unsere Demokratie das aushalten, dass sie auf der Messe gezeigt werden dürfen. Dasselbe gilt für Auftritte von Personen. Björn Höcke ist der AfD-Vorsitzende von Thüringen, seine Partei ist nach demokratischer Wahl im Thüringer Landtag vertreten. Der Umgang mit der AfD und ihren Positionen ist eine politische Aufgabe und nicht durch ein Hausverbot auf der Messe zu lösen.

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