Trauer verbreitet sich

Die österreichischen K & K-Philharmoniker spielten bei einem Gastspiel im Konzerthaus »Best of Tschaikowski«

  • Ulrike Krenzlin
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Tschaikowski-Abend am Mittwoch im Konzerthaus hat es gezeigt. Matthias Georg Kendlinger ist durch und durch Konzeptionist. Der Komponist und Dirigent eines großen Orchesters will dreierlei durchsetzen. Mit Tschaikowski bekennt er sich zu einem Lehrmeister, macht an ihm Ausgangspunkte fest und sucht Anstöße fürs eigene Kompositionsschaffen. Nahezu besessen ist er von der Idee, künstlerischen Nachwuchs zu fördern, in dessen Dienst er sich in Demut stellt. Ganz von selbst ergibt sich aus beiden Ansätzen die Art und Weise seines künstlerischen Schaffens. Als Zugabe, er nannte sie ein Geschenk an das Berliner Publikum, ließ er am Abend sein eigenes Werk, die sinfonische Dichtung »Heilung«, aufführen. Das Dirigat dazu führte der ukrainische Dirigent Taras Lenko.

Im Tschaikowski-Konzert erhielt der 19-jährige Maximilian Kendlinger den Vorpausenteil mit Passagen aus »Eugen Onegin«, den Ballettmusiken »Dornröschen«, »Schwanensee«, dem »Nussknacker« und zum Finale der »4. f-Moll Sinfonie«. Matthias Georg Kendlinger selbst hat seinen Sohn Maximilian an das Dirigentenpult herangeführt. Den Taktstock nahm der damals 13-jährige Junge zuerst für den Radetzky-Marsch in die Hand. Das war in der Düsseldorfer Tonhalle. Seit 2016 dirigiert er eigene Konzerte, zuerst in der Lemberger Philharmonie, dann im Leipziger Gewandhaus. In der kommenden Wintersaison geht er, gemeinsam mit seinem Vater und anderen Dirigenten, im Rahmen der österreichischen K & K-Philharmoniker auf die Wintertourneen.

Wie nun dirigierte der Newcomer Maximilian Kendlinger vor ausverkauftem Konzerthaus? Am Anfang, in Op. 24, der Polonaise aus Eugen Onegin, verschlug es ihm fast den Atem. Er blieb schüchtern und steif. In den vier Stücken aus dem »Nussknacker« lösen sich Befangenheit und die Körperverspannung auf. Der »Tanz der Rohrflöten«, der »Blumenwalzer« und gar »Pas de deux« entlocken dem Österreicher ganz und gar den dirigistischen Charme des jungen Mannes. Im Walzer des »Schwanensee« kann er auch den Klangkörper so weit öffnen, dass die schweifenden Walzerrhythmen Hochstimmung und Freude auslösen. Das alles macht neugierig auf Kräfte, die in dieser Begabung noch verborgen liegen.

Im zweiten Teil dirigiert Matthias Georg Kendlinger Tschaikowskis »op. 23«, das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 in b-Moll. Den äußerst schwierigen Klavierpart präsentiert der 24-jährige Grazer Pianist Philipp Scheucher. Das ist nun schon die dritte gemeinsame Produktion des Pianisten mit den K & K-Philharmonikern und der Abendhöhepunkt. Am Flügel erkennt man kaum noch den perfektionistischen Studenten vom Mozarteum wieder, sondern erlebt die Könnerschaft des Klaviervirtuosen, der weltweit Preise erhalten hat. Es erscheint so, als ob Scheuchers unverwechselbare Hände über die Tastatur fliegen, sie biegen sich nach oben, um in eleganten Schwüngen zurückzufallen, oder sie schleichen über die Tasten, verkrallen sich, um im Überschlag zu hämmern.

In den Sätzen lösen diese Hände das wilde Auf und Ab der Gefühle aus, das Tschaikowski seiner Komposition schmerzhaft eingegeben hat. Wut schäumt auf, Schwermut schmerzt, Trauer verbreitet sich. Es ist, als ob der Boden unter unseren Füßen unhaltbar schwankt. Am Ende der drei Sätze hat Scheucher eine Skala von Gefühlslagen aufgebaut und einen Zauber entfacht, die den Atem stocken lassen und man fragt sich: »Bin ich ganz bei mir angekommen? Verweile doch.«

Das Orchester so hoch zu motivieren und einen jungen Dirigenten an seiner Seite zu fördern, daran arbeitet der Konzeptionist Matthias Georg Kendlinger seit fünfzehn Jahren. Seine Instrumentalisten bespielen über hundert europäische Konzerthäuser. Dirigent und Komponist Kendlinger gründete die österreichischen K & K-Philharmoniker als ein Familienunternehmen. Dieses Geschäftsmodell schien anfangs kühn, und zugleich war es riskant, weil Kendlinger jegliche Fördermittel ablehnt. Dennoch, Erfolg nahm Fahrt auf. Der Impresario leitet inzwischen ein Ensemble von hundert Instrumentalisten, dazu Ballett und den Opernchor, mithin eines der größten künstlerischen Privatunternehmen in Europa.

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