Das Schweigen brechen

Nach der #metoo-Debatte im Internet gibt es auch in der Hauptstadt Proteste gegen Sexismus

  • Christina Palitzsch
  • Lesedauer: 3 Min.

Trotz des miesen Wetters füllt sich der Neuköllner Hermannplatz am Samstagnachmittag mit Hunderten Menschen, die an der #metooberlin-Demonstration teilnehmen wollen. Gekommen sind Frauen wie Männer. »Die Idee zur Demo hatten wir ziemlich spontan letzte Woche«, sagt Bündnissprecherin Theresa Hartmann. »Wir wollen den Hashtag metoo sichtbar auf die Straße tragen und uns den öffentlichen Raum nehmen. Wir wollen damit den Druck, gerade auch auf die Politik, aufrecht erhalten.« Bei der Demonstration haben Frauen das Sagen: der Frontblock ist Frauen, Lesben, Trans und Inter vorbehalten, die Redebeiträge werden von Frauen gehalten.

Die erste Rednerin ist eine 23-jährige Überlebende jahrelanger sexualisierter Gewalt. »Die Täter laufen trotz Anklage immer noch frei herum. Ich warte seit drei Jahren auf Hilfe vom Opferentschädigungsfonds. Und offiziell stehen mir fünf bis sieben Gespräche in einer Traumatherapie zu. Fünf bis sieben!« sagt sie wütend. »Wo ist Wilhelm Rörig, wenn er sagt, es müsse sich etwas ändern, warum ist er heute nicht hier?« Johannes-Wilhelm Rörig ist unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, einer 2010 gegründeten Anlaufstelle des Bundes. Einige RednerInnen kostet es sichtlich Kraft, die tief sitzende Scham, Trauer und Wut zu überwinden, doch sie setzen das zentrale Thema: Lasst uns darüber reden!

Bei der ersten Zwischenkundgebung spricht Rednerin Mareike Hein, zwischen Englisch und Deutsch wechselnd. Sie erinnerte an US-Amerikanerin Tarana Burke. Diese habe bereits vor zehn Jahren gesagt, wie wichtig es sei, zu sprechen und den Überlebenden Gehör, Raum und Empathie zu geben. Unterdessen wird auf der Demonstration ein langes Plakat mit vielen weiteren Namen von VorkämpferInnen im Sinne von #metoo aufgezogen.

Als der Aufzug an der Reichenberger Straße in Kreuzberg ankommt, liest ein Redner namens Jonas ein Grußwort von »Tauwetter« vor, einer Anlaufstelle für als Kind sexuell missbrauchte Männer. »Wir sind nicht Geschlechtsgenossen mit denen, die Gewalt uns und euch antun. Viel lieber sind wir solidarisch statt der falschen Männerkumpanei anzugehören.« Dafür gibt es großen Applaus. Der nächste Redner macht im Anschluss deutlich, welche Rolle Männer spielen müssten. »Lasst uns nicht Teil des Problems bleiben, sondern Teil der Lösung werden«, sagt er. Am Kottbusser Tor werden Konflikte deutlich: Eine Rednerin kritisiert die auf Frauendemos weit verbreiteten Vulvadarstellungen: »Auch das kann eine Retraumatisierung darstellen und wird nicht von allen unterstützt«, sagt sie mit scharfer Stimme. Einige Teilnehmerinnen scheren auf den Gehweg aus, doch der Beitrag erhält auch Zuspruch.

Sexualisierte Gewalt und Sexismus sind Studien zufolge immer auch Machtdemonstrationen von Privilegierten. In anderen feministischen Debatten wie etwa bei der Aufschrei-Diskussion wurde dieser Aspekt nicht so herausgehoben. Was die Frauen derzeit berichten, ist zudem wohl nur die Spitze des Eisbergs und auch als Reaktion auf einen Rückschritt unserer Gesellschaft zu lesen. Am Lausitzer Platz endet die Demo unter Emma Goldmanns Motto: »Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution«.

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