Linke Regression

Am 18. November findet in Berlin die Messe »Queeres Verlegen« statt – ohne das zuletzt heftig debattierte Buch »Beißreflexe«

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Sonntag gab Deborah Feldman dem »Deutschlandfunk« ein bemerkenswertes Interview. Weil die Schriftstellerin aus den Vereinigten Staaten von Amerika stammt und dort in einer ultraorthodox-jüdischen Familie aufgewachsen ist, ging es in dem Gespräch vor allem um AfD und Donald Trump. Feldmans interessanteste These: Wenn Gesellschaften wie die US-amerikanische oder die deutsche schnell progressiv werden, also rasch nach sozialem Fortschritt streben, dann entstehe eine reagierende Regression, die zuerst unbemerkt bleibe und sich irgendwann eruptiv entlade.

Das ist gerade darum eine kluge Erkenntnis, da dieser Rückfall in vordemokratische Zustände aktuell nicht nur bei Demonstrationen selbst ernannter »Lebensschützer« oder im Rassismus des US-Präsidenten und auch nicht nur bei »Pegida« in Dresden oder in Reden von Alexander Gauland augenscheinlich wird. Nein, die reagierende Regression kann auch von jener Seite kommen, die den sozialen Fortschritt überhaupt erst ausgelöst hat. Dann stehen sich Rechte und Linke im Boxring gegenüber, derweil die Linken parallel gegeneinander Empörungspingpong spielen. So geschieht es etwa derzeit innerhalb der deutschen Linkspartei. Angetrieben von einer gnadenlos den Fremdenhass schürenden AfD, gerät der linksliberale Mainstream in eine aggressive Verteidigungshaltung eigener Werte, die so weit übers Ziel hinausschießen kann, dass jede nüchterne Betrachtung des Themas unmöglich wird.

Am härtesten trifft es die linken Kritiker. Den größten Raum nahm und nimmt medial diesbezüglich der jüngste und längst nicht ausgestandene Kampf um die Deutungshoheit in der Flüchtlingspolitik der Linkspartei ein. Sahra Wagenknecht dürfte noch immer kaum einen Tag beginnen können, ohne sich aus den eigenen Reihen schon wieder als Rassistin diffamiert zu sehen. Als im Herbst vergangenen Jahres eine Debatte um Klassenpolitik und Identitätspolitik entbrannte, feuerte die queere Szene unablässig Salven ab gegen jede und jeden, der oder die es wagte, von links die totale Verdrängung der sozialen Frage zugunsten der Frauen- und Minderheitenrechte zu kritisieren.

Im Frühjahr 2017 erschien im Querverlag das von Patsy l’Amour laLove herausgegebene Buch »Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten«. Darin schildern 27 Beiträge, wie sich die queere Szene zu einer dogmatischen Polit-Sekte entwickelt hat. Das Werk trifft einen Nerv, es liegt bereits in vierter Auflage vor. Verlagsleiterin Ilona Bubeck wollte es darum bei der Messe »Queeres Verlegen« vorstellen, die am 18. November in Berlin stattfindet. Jetzt wurde bekannt, dass sich das Orga-Team gegen eine entsprechende Veranstaltung ausgesprochen hat. Bubeck sagte daraufhin die Teilnahme ihres Verlags komplett ab und schrieb in einem Kommentar für die Zeitschrift »Siegessäule«: »Wer unbequeme Personen verdrängt und wer kritisch hinterfragende Bücher verbietet, ist für mich als lesbische Feministin keine Verbündete.«

Die zentrale Aussage von »Beißreflexe« hat die ganze Chose indes bestätigt. Und die Bekanntheit des Buches dürfte weiter steigen.

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